Gute Besserung!

Selbsterkenntnis, so heißt es in einem alten Sprichwort, ist der erste Weg zur Besserung. Gemessen daran darf man Richard Goldstone (Foto) tatsächlich Fortschritte auf dem Weg zur Genesung von der grassierenden Seuche namens Antizionismus attestieren. Denn der südafrikanische Richter und frühere Chefankläger der Vereinten Nationen hat am vergangenen Freitag in einem Aufsehen erregenden Beitrag für die Washington Post eine Art Mea culpa veröffentlicht und nicht unerhebliche Urteile des nach ihm selbst benannten, Mitte September 2009 publizierten, fast 600 Seiten umfassenden Berichts, in dem Israel schwerste Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Bevölkerung des Gazastreifens vorgeworfen werden, faktisch zurückgenommen. „Wenn ich [damals] gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre der Goldstone-Report ein anderes Dokument geworden“, schrieb er in der amerikanischen Tageszeitung. Es lohnt sich deshalb, die Geschichte dieses Berichts kurz zu rekapitulieren.

Ihren Ausgangspunkt hatte sie im Januar 2009, als der von Diktaturen und Autokratien dominierte, notorisch israelfeindliche UN-Menschenrechtsrat auf Antrag von Kuba, Ägypten und Pakistan beschloss, eine Kommission einzusetzen, die „alle Menschenrechtsverletzungen der Besatzungsmacht Israel gegen das palästinensische Volk in den besetzten palästinensischen Gebieten“ während der Militärschläge gegen die Hamas Ende 2008 und Anfang 2009 untersuchen sollte. Es war ohne jeden Zweifel von vornherein abzusehen, was bei dieser Untersuchung herauskommen würde – auch wenn der seinerzeitige Vorsitzende des Rats nach Protesten der europäischen Ratsmitglieder sowie Kanadas und Japans das Mandat etwas modifizierte und die „Fact Finding Mission“ unter der Leitung von Richard Goldstone letztlich den Auftrag erhielt, „sämtliche möglicherweise begangenen Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Militäroperationen in Gaza“ zu erforschen.

Die israelische Regierung weigerte sich jedenfalls, mit der Goldstone-Kommission zusammenzuarbeiten. „Sie werden verstehen“, schrieb der Leiter der Ständigen Vertretung Israels bei den Vereinten Nationen in Genf, Aharon Leshno-Yaar, seinerzeit in einem Brief an Goldstone, „dass Israel nicht willens ist, eine Instanz zu legitimieren, die den rechtmäßigen Einsatz von Gewalt zum Schutz seiner Bürger untersuchen soll, während gleichzeitig von ihr verlangt wird, den illegalen Gebrauch von Gewalt durch terroristische Gruppen, die diesen Einsatz überhaupt erst notwendig gemacht hat, zu ignorieren“. Bestätigt fühlte Israel sich in seinem Schritt nicht zuletzt durch Meldungen, denen zufolge die Kommission bei ihren Recherchen im Gazastreifen ständig von Hamas-Offiziellen begleitet wird. „Wir bezweifeln, dass unter diesen Umständen wahrheitsgemäß über die Lage in Gaza und insbesondere über den zynischen Missbrauch der Zivilbevölkerung durch die Hamas berichtet werden wird“, erklärte Leshno-Yaar.

Für diese Zweifel gab es beste Gründe. Denn während dem jüdischen Staat im Goldstone-Bericht ein ums andere Mal „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ vorgeworfen werden, findet der Raketenterror der Hamas lediglich beiläufig Erwähnung. Überhaupt ist die Untersuchung der Kommission bis ins Detail voller Absonderlichkeiten. So heißt es beispielsweise, nicht einmal 17 Prozent der getöteten Palästinenser seien Kombattanten gewesen – eine Zahl, auf die man nur kommen kann, wenn man, wie im Bericht geschehen, selbst die Polizisten im Gazastreifen zu den Zivilisten rechnet, obwohl über 90 Prozent von ihnen zum militärischen Flügel der Hamas gehören. Vom Vorwurf, tatsächliche Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht zu haben, wird die Hamas glatt freigesprochen; überdies wollten Goldstone und seine Kollegen schlicht keine Beweise dafür gefunden haben, dass die Gotteskriegertruppe Waffen und Munition in Moscheen, Schulen und Krankenhäusern gelagert hatte, obwohl noch nicht einmal die Hamas abstritt, derlei Depots angelegt zu haben.

Nun ist Richard Goldstone zumindest teilweise zurückgerudert. Ein weiterer UN-Bericht, so schrieb er in der Washington Post, sei zu der Erkenntnis gelangt, dass Israel mehr als 400 vermeintliche Vergehen seiner Armee untersucht habe, während die Hamas – was ihn sehr traurig stimme – keinem einzigen Raketenabschuss auf den jüdischen Staat nachgegangen sei. Zudem habe sich herausgestellt, dass Zivilisten keineswegs absichtlich zum Ziel israelischer Angriffe gemacht worden seien. Gleichzeitig verteidigte Goldstone sich und die von ihm geleitete Kommission: „Das Ziel unseres Berichts war es nie, ein bereits im Vorhinein feststehendes Urteil gegen Israel lediglich zu bestätigen.“ Vielmehr habe er, Goldstone, stets das israelische Recht auf Selbstverteidigung betont. Zudem sei der Bericht der erste, in dem „illegale terroristische Handlungen der Hamas untersucht und von den Vereinten Nationen verurteilt“ worden seien. Er habe gehofft, fuhr Goldstone fort, „dass unsere Ermittlungen eine neue Ära der Objektivität im UN-Menschenrechtsrat, dessen Voreingenommenheit gegenüber Israel außer Zweifel steht, einläuten werden“.

Es fällt schwer, Goldstone seine Naivität abzunehmen – sowohl in Bezug auf die scheinbar neuen Erkenntnisse zu den Militärschlägen im Gazastreifen als auch hinsichtlich seines Glaubens an die Reformierbarkeit der Uno und vor allem des Menschenrechtsrats. Denn bereits ein Blick auf die Quellen, aus denen sich der Goldstone-Bericht speist, fördert dessen zutiefst ideologische Substanz zutage: Über 500 Belegstellen stammen von notorisch antiisraelischen Nichtregierungsorganisationen, wie NGO Monitor bereits vor anderthalb Jahren errechnete. Augenscheinlich war Goldstones Kommission also vor allem damit beschäftigt, Zitate aus Publikationen, Stellungnahmen und „Zeugenaussagen“ dieser NGOs zu sammeln – von Human Rights Watch und von Amnesty International, vom Palestinian Center for Human Rights und von Al-Haq, von B’Tselem und von Breaking the Silence, um nur einige zu nennen.

Die Tätigkeiten dieser so genannten Menschenrechtsorganisationen, die maßgeblich von europäischen Regierungen und der Europäischen Union finanziert werden, sprechen Bände: Human Rights Watch beispielsweise scheut sich nicht einmal, in Saudi-Arabien Spenden für seinen Kampf gegen Israel einzutreiben, und Al-Haq forderte im Herbst des Jahres 2009 gemeinsam mit der NGO Al-Mezan allen Ernstes ein britisches Gericht auf, gegen den zu Gesprächen in Großbritannien weilenden israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak einen Haftbefehl wegen „Kriegsverbrechen“ zu erlassen. Breaking the Silence wiederum hatte bereits im Juli desselben Jahres mit einem Bericht von sich reden gemacht, in dem der israelischen Armee vorgeworfen wurde, im Rahmen der Operation Cast Lead palästinensische Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht oder gar ohne Vorwarnung erschossen zu haben. Kronzeugen der Anklage waren dabei 27 israelische Soldaten, die jedoch anonym blieben und die angeblichen Verbrechen zudem nur vom Hörensagen kannten.

„Die Aktivitäten dieser NGOs basieren auf einer Interpretation von internationalem Recht und den Menschenrechten, die nur dazu dient, Israel zu dämonisieren“, schrieb NGO Monitor im Oktober 2009. Diese Gruppen wollten „negative Publicity für Israel, nicht ‚Gerechtigkeit’.“ Richard Goldstone hätte das wissen müssen – schließlich gehörte er Human Rights Watch einst in führender Position an; erst nach seiner Ernennung zum Vorsitzenden der Untersuchungskommission trat er aus der Organisation aus. Seine Kommissionskollegin Christine Chinkin war Beraterin von Amnesty International und Unterzeichnerin eines öffentlichen Protestschreibens mit dem Titel „Israels Bombardierung von Gaza ist keine Selbstverteidigung, sondern ein Kriegsverbrechen“. Und die Kommissionsmitglieder Hina Jilani und Desmond Travers gehörten gemeinsam mit Goldstone zu den Unterzeichnern eines Schreibens an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, in dem sie sich „schockiert“ über die Ereignisse in Gaza zeigten (wohingegen sie die Raketenangriffe auf Sderot und andere israelische Orte unerwähnt ließen).

Auch Goldstones Vertrauen in die Gremien der Uno ist höchst befremdlich. Insbesondere der UN-Menschenrechtsrat war nie etwas anderes als eine Einrichtung, in der die übelsten Diktaturen dieser Welt sich gegenseitig decken und auf deren Sitzungen eine Verurteilung Israels nach der anderen beschlossen wird. Auch ansonsten bleibt nur die Feststellung, dass die Vereinten Nationen keine Fehler machen, sondern der Fehler sind, wie Lukas Lambert in der Jungle World treffend feststellte: „Die Uno ist ein Kind des Westfälischen Staatensystems. Die unantastbare Souveränität des Nationalstaates ist Grundlage und Modus Operandi der Weltorganisation: ein Staat – eine Stimme. Die Qualität der internationalen Menschenrechtspolitik wird dementsprechend zu einer Frage der Mehrheit, und die ist in fast allen UN-Gremien, den Sicherheitsrat ausgenommen, auf der Seite der arabischen und islamischen Länder. Innerhalb dieser Mehrheit hilft man sich gegenseitig, wählt sich in Menschenrechtsgremien und sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zur Sprache kommen. Gleichzeitig sind Angriffe auf Israel das allgemein anerkannte Mittel, um das eigene Engagement in Menschenrechtsfragen zu demonstrieren.“

Eine „Verhöhnung der Geschichte“ nannte der israelische Staatspräsident Shimon Peres den Goldstone-Bericht bereits kurz nach dessen Veröffentlichung. Die Kommission habe nicht zwischen dem Aggressor und einem Staat unterschieden, der sein Recht auf Selbstverteidigung wahrgenommen habe. Nun fordert Peres von Goldstone eine offizielle Entschuldigung, während der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu klarstellt: „Alles, was wir gesagt haben, hat sich bewahrheitet. Die Tatsache, dass Goldstone einen Rückzieher gemacht hat, bedeutet, dass der Bericht ein für alle Mal begraben werden sollte. Ich rufe die Vereinten Nationen auf, den Bericht sofort zu annullieren. Er gehört in den Papierkorb der Geschichte.“ Peres und Netanyahu haben vollkommen Recht. Der Schaden, den der Goldstone-Bericht angerichtet hat, ist ohnehin kaum noch aus der Welt zu schaffen. Das Mindeste, was der dafür Hauptverantwortliche tun kann, ist es daher, sich für die offizielle Aufhebung dieses Machwerks einzusetzen. Der Beitrag in der Washington Post kann nur der Anfang von Goldstones Selbsterkenntnisprozess gewesen sein; sein Weg zur Besserung ist jedenfalls noch lange nicht abgeschlossen.