Hurra, Patriotismus!

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich diesen Text schreiben oder einfach nur die Fußball-Europameisterschaft gucken soll, ohne mich darüber hier im Blog auszumären. Schließlich schreiben andere – zuvorderst der wundervolle Frédéric Valin – wirklich großartige Texte über dieses bisher sehr sehenswerte Turnier, und dazu wird auf Twitter rund um die Spiele für genau die Unterhaltung gesorgt, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinen Beckmännern und Müllerhohensteinen zu bieten einfach nicht in der Lage zu sein scheint. Aber es gibt dann doch etwas, das ich nicht unkommentiert lassen möchte, und das ist der neuerliche Deutschland-Hype, an den ich mich wohl nie gewöhnen werde und der mir vermutlich auch nie gleichgültig sein wird.

Dabei bestreite ich ja gar nicht, dass es aus sportlicher Sicht gute Gründe gibt, der Auswahl des smarten Joachim Löw großen Respekt zu zollen. Seit er Bundestrainer ist, spielt die Mannschaft überaus ansehnlich und hat, wie bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren, teilweise sogar höchst spektakuläre Vorträge zu bieten. Nach Jahrzehnten, in denen mehr Wert auf das Pflügen des Platzes als auf die Pflege des Balles gelegt wurde, tritt das Team inzwischen geradezu undeutsch auf, und um in ihm spielen zu dürfen, ist es auch nicht mehr notwendig, bis in die zehnte Generation die Existenz eines deutschen Schäferhundes glaubhaft machen zu können. Irgendwann hatte man selbst beim verknöcherten DFB eingesehen, dass weder Ariernachweis noch Blutgrätsche dauerhaft den Gewinn von Titeln garantieren, und die überfällige Modernisierung eingeleitet.

Auf den Tribünen dagegen geht es bei Länderspielen zu wie eh und je. Man muss jedenfalls schon sehr gutmütig sein, um in Gesängen wie »Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da« oder »Steht auf, wenn ihr Deutsche seid« – gut hörbar angestimmt von zahlreichen deutschen Patridioten in ukrainischen Stadien während der Vorrundenpartien der DFB-Elf – lediglich fehlende Sensibilität oder peinliche Unwissenheit zu erkennen und nicht einen gewollten, nationalistischen Tabubruch. Ganz zu schweigen vom offenbar unvermeidlichen, aggressiven »Sieg«-Gebrüll, bei dem nicht nur ältere Einwohner von Lviv und Charkiv, den bisherigen Spielorten der deutschen Mannschaft, gedanklich mit Schaudern ein »Heil« ergänzt haben werden. Über 800.000 Menschen, mehr als die Hälfte davon Juden, waren in diesen beiden Städten zwischen 1941 und 1944 von den deutschen Besatzern ermordet worden.

Das »Sieg«-Geschrei hat übrigens auch beim Aktuellen Sportstudio des ZDF zumindest ein gewisses Unwohlsein hervorgerufen. »Gute Unterstützung braucht diese Sieg-Rufe nicht und nie!«, richtete es via Twitter eine vorsichtige Bitte an die Fans der DFB-Auswahl. Dieser Appell dürfte zwar weitgehend unerhört bleiben, aber vielleicht schließt sich ihm ja der DFB oder die Nationalelf an (und zeigt damit, dass der Besuch der Gedenkstätte Auschwitz vor dem Turnier nicht nur eine wohlfeile PR-Aktion war). Und sage niemand, das bringe nichts. Als Volker Finke noch den SC Freiburg trainierte, machte er in den 1990er Jahren unmissverständlich klar: Entweder hören die »Sieg«-Rufe auf – oder es geht nach dem Abpfiff kein Spieler mehr zu den Fans in die Kurve. Ergebnis: Das Gegröle verstummte.

Bliebe noch der vermeintliche »Party-Patriotismus« in den Kneipen, Straßen und »Fanmeilen«. Dass der dann doch nicht so harmlos und unpolitisch ist wie vielfach behauptet, war schon 2006 klar; nun hat auch die Sozialpsychologin Dagmar Schediwy in einer Studie und Interviews verdeutlicht, dass es dem schwarz-rot-goldenen Feiervolk in erster Linie um sein nationales Coming-out ging und geht und zuallerletzt um den Spaß am Fußball. Auch die außerordentliche Aggressivität, mit der nicht wenige Deutschlandfans die – letztlich ja völlig marginale – Kritik an ihrem Tun zurückweisen, spricht Bände. Nebenbei bemerkt: Man muss, um dem ganzen nationalen Firlefanz rund um die Europameisterschaft kritisch gegenüberzustehen, keineswegs ein »Antideutscher« mit »Selbsthass« sein, wie Ulf Poschardt in der Welt fälschlicherweise glaubt. Es genügt völlig, die hiesige Art, Erfolge der Nationalelf zu feiern, bisweilen zwanghaft und bedrohlich zu finden. Und dafür gibt es nun mal Gründe.

Zum Foto: Ein Deutschlandfan hat gegenüber dem Rathaus von Lviv Position bezogen. Lviv, 17. Juni 2012.