Hierzulande besteht ein Konsens darüber, dass Kunst als Mittel der Ästhetisierung des Politischen zu einer Politik des Gedenkens Deutschlands an sich selbst beitragen soll, an den »Unstaat« (Franz Neumann) der Volksgemeinschaft, dessen Hauptanliegen die Vernichtung der Juden war. Das schafft mitunter Probleme, einen Legitimationsbedarf, und braucht ein bestimmtes Kunstverständnis. Teil 1 einer Kritik der anstehenden Berlin Biennale 2012.
VON WERNER FLEISCHER
Berufungen werden meist einfach zur Kenntnis genommen, und so gab es kaum öffentliche Nachfragen nach den Gründen, die die Gremien der Bundeskulturstiftung, die Berliner Kunstwerke und sonstige Persönlichkeiten des Institutionengefüges Bildende Kunst dafür hatten, sich bei der Entscheidung in Bezug auf den Kurator der Berlin Biennale 2012 für den polnischen Künstler Artur Zmijewski, einen Aktivisten der Marke »All in one«, auszusprechen respektive ihn zu unterstützen. Für »das wichtigste Schaufenster für zeitgenössische Kunst in Deutschland« gingen alle zwei Jahre »namhafte Kuratoren an der Start«, schreibt die Kulturstiftung des Bundes, die der Veranstaltung 2,5 Millionen Euro zur Verfügung stellt, auf ihrer Website. Zmijewski habe »eine deutliche Haltung zum sozialen Aktivismus entwickelt«, heißt es in einem Werbefaltblatt, das vom Berliner KW Institute for Contemporary Art, das die Biennale organisiert, verbreitet wird. »Lasst die Kunst Lösungen für den sozialen und politischen Bereich anbieten! Statt Fragen zu stellen, möchte ich, dass die nächste Biennale Antworten liefert, dass sie künstlerische Sprachen und Strategien benutzt, um für gemeinsame Ziele zu kämpfen«, wird Zmijewski im Faltblatt zitiert. Diese Kampfansage legt nahe, dass die in Deutschland tradierte Sehnsucht nach Aufhebung jeglicher Vermittlung und der damit verbundene chronische Verdacht gegen Abstraktionen (des Westens und seiner Kunst) eine Rolle gespielt haben mag, da hier einer als Protagonist gefunden wurde, der »Lösungen anbieten« und »Antworten liefern« will.
»Die deutsche Hauptstadt gilt als ideale Bühne«, schreibt die Bundeskulturstiftung über Berlin, das sich bald täglich als Welthauptstadt der Kunst imaginiert, wobei antisemitische Projektionen gegen den Sammler Berggruen oder gegen Anwälte der Restitutionsansprüche jüdischer Opfer als pars pro toto ihre Entsprechung finden in der allseits hofierten Sammlung des Nazi-Erben Flick. Dabei sind die »Topographien des Terrors«, wie es euphemistisch heißt, Aktivposten des Stadt-Marketings, die, nicht immer freiwillig, vom Libeskind-Bau über die Kollwitz-Krypta bis zum »Untergang« von Eichinger sakral wirkend den gerade in seiner Negativität wie geweiht gefassten Ort ausbilden, in dem so etwas wie Scham zum – dem Begriff nach nicht möglichen – Allgemeinplatz wird und Fragen zu Schuld und Verantwortung als Andacht gegeben werden. Das Andächtige jedoch bedarf, so scheint es und hat etwas Zynisches, gerade wegen des ihm eigenen Dezenten und Vermittelten der fortlaufenden »Modernisierung«. »Die öffentliche Erinnerungspolitik hat sich inzwischen darauf geeinigt, dass die weltpolitischen Ambitionen Deutschlands es erfordern, das ›Holocaust-Problem‹ offensiv anzugehen« (1), wobei beim »Aufarbeitungs- und Gedenkweltmeister« (2) Deutschland, der sich einbildet, dass ihn dafür »in anderen Ländern manche beneiden« (Eberhard Jäckel), »Erinnerung und Spurenauslöschung immer wieder Hand in Hand gehen.« (3)
Dabei besteht ein Konsens darüber, dass Kunst als Mittel der Ästhetisierung des Politischen zu einer Politik des Gedenkens Deutschlands an sich selbst beitragen soll, an den »Unstaat« (Franz Neumann) der Volksgemeinschaft, dessen Hauptanliegen die Vernichtung der Juden war. Das schafft mitunter Probleme, einen Legitimationsbedarf, und braucht ein bestimmtes Kunstverständnis. Da wirkt es im Nachhinein nur folgerichtig, dass der Künstlerkurator Zmijewski sich auch als Autor beweisen konnte und 2007 ein »Manifest Angewandte Gesellschaftskunst« veröffentlichte. Darin heißt es laut Goethe-Institut, die Kunst habe »ihren Einfluss auf die Wirklichkeit verloren« und müsse »wieder als ein Instrument der Wissenschaft, Bildung und Politik gebraucht und jenen gegenüber geöffnet werden, die nicht vor ihr auf die Knie fallen, sondern in einen wirklichen Dialog mit ihr eintreten können«. Und laut Tagesspiegel vom 18. Februar 2011 bescheinigt Zmijewski »dem heutigen Schaffen dramatische Wirkungslosigkeit«. Die Autonomie der Kunst bedeute »auch ein Fehlen von verbindlichen Maßstäben und Einfluss«, und es gebe »keine Trennung zwischen Kunst und Leben« – so laute der Leitsatz der Berlin Biennale.
Akte der Sublimierung
Die Bezeichnung »Manifest« assoziiert Bewegungen der Avantgarde in der Kunst, die sich beispielsweise als Surrealismus, Futurismus, Dadaismus, Bauhaus oder Situationismus formierten und deren schlechtestes Zeugnis ihrer Kunst häufig gerade das Manifestartige war. Affirmation, Reproduktion und Überbietung der Gewaltverhältnisse als Elemente ihrer Credos, bis hin zur Sympathie einiger Futuristen und Surrealisten mit dem Faschismus, kulminiert in diesen Tagen einmal mehr, wenn »kommende Aufstände« herbeifantasiert und -gewünscht werden, deren Wunsch der Eliminierung halbwegs zivilisatorischer Verhältnisse sich im Hass auf »Finanzkapitalisten« und »Spekulanten« manifestiert, deren Personifikation Juden und deren Staaten die USA und vor allem Israel sind. Das offensichtliche Kokettieren mit den »Bewegungen« unserer Zeit offenbart sich in den mittlerweile täglich mit destruktiver Vehemenz verkündeten Aktivitäten der Biennale unter Zmijewski, die dazu auffordert, jeder Künstler »weltweit« möge Kunst einreichen und dazu angeben, welche »politische Neigung« er habe. Das zeigt sich in Texten wie »Die Empörten sind unter uns« und »Der Marsch der Empörten wird weitergehen« oder in der Aktion, das Buch von Thilo Sarrazin an Sammelstellen zurückzugeben; nach dem Muster der Mülltrennung wird aufgerufen: »Deutschland schafft es ab.« Als Akt gegen Sublimierung sucht man sich ein »Wir«, das die wesentliche Kritik gegen Sarrazin, seinen völkischen Geist, eben nicht vorträgt, sondern vielmehr diesen Geist reformiert und »Deutschland« ökologisch einwandfrei bestätigt. Einwandfrei sah man sich auch, als am Tag des palästinensischen Antrags auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen die Biennale eine Aktion unterstützte, bei der Passanten am »Checkpoint Charlie« ihre Pässe mit einem Einreisestempel für Palästina stempeln lassen konnten – Wiedervereinigung als Reenactment an der ehemaligen Grenze der deutschen Teilung, an der zudem das Ende des kurzen Jahrhunderts als Einstieg in die Machtfantasien eines Weltsouveräns symbolisch markiert wurde.
Kunst, deren Wahrheit ihre Unmöglichkeit angesichts des »Zivilisationsbruchs« der Shoah und deren Realität die mehr oder weniger bereitwillige Hingabe an die Sachzwänge einer allumfassenden kulturindustriellen Totalität ist, entstünde und bestünde, wenn sie als solche noch irgendwie wahr sein soll (und Beispiele sind überwiegend historisch zu finden) (4), unter den vermittelten Formbedingungen des je Besonderen des einzelnen Künstlers, des je Außerordentlichen des einzelnen Kunstwerks, der Inkommensurabilität, des Nicht-Verfügbaren und Nicht-Nützlichen, der in einem Kunstwerk eingesetzten Möglichkeit von Erfahrung der Freiheit des einzelnen Menschen von der falschen Einrichtung der Verhältnisse. All dies wird durch den Bewegungsfetischismus aufgehoben und denunziert. Man sollte also ehrlicherweise von einem »Manifest für angewandte Gesellschaft« reden. Die Tendenz zu Künstlergruppen (also Gruppenkünstlern) und Kuratorengruppen, der Trend zum Identitären, der zu beobachten ist, der redundante Herrschaftsanspruch wie die Negation der »Sphärentrennung«, das Dementi der Autorschaft, der Reiz des Anonymus’ – all das kennt kein Objekt mehr, keinen Gegenstand außerhalb. Alles fällt in eins, in »Echtzeit«, und verfällt wahnhaft, vielleicht weil unreflektiert gekränkt wegen des Bedeutungsverlustes des Selbst – angesichts der dem Kapitalverhältnis gleichgültigen je besonderen Individuen und eingedenk des Verlustes des Subjektiven im allein wertsetzenden Warentausch –, in das Muster der Gemeinschaft und betreibt nahezu das Gegenteil dessen, was Kunst noch bestimmen könnte. Deren Doppelcharakter als Ware wie als Objekt jenseits des Verwertungszusammenhangs, welches sich in der »Wahrheit des Ichs« und im Vorrang des Objekts gegen die Ansprüche der Totalität der Gesellschaft versucht, wird preisgegeben in einer Weise, die mit Zerstörungswut die letzten Residuen des Aufscheinens von Freiheit vom falschen Ganzen eliminieren möchte.
Der nun als Künstler sich positionierende Zmijewski, der im postmodernen Jargon »Ereignissequenzen in Gang setzen« und einen »Spielzug auf dem erregten Spielfeld«gestalten will, sagte in einem Fernsehbeitrag der Sendung Kulturzeit auf 3Sat, er sei nicht zuständig für die Erklärung der Wirkung seiner Werke. Dessen ungeachtet schien es den TV-Journalisten mit den Worten der FAZ (5) ohnehin wichtiger gewesen zu sein zu betonen, dass »Werk und Künstler eine öffentliche, inhaltliche Diskussion vor der Entscheidung verdient gehabt« hätten – eine Diskussion über die Entscheidung der Hausleitung im Martin-Gropius-Bau, ein Werk von Zmijewski kommentarlos und ohne um Erlaubnis zu bitten (bei der Kuratorin oder beim Künstler) aus der Ausstellung »Tür an Tür: Polen – Deutschland« herauszunehmen. Der TV-Beitrag, die Kuratorin Anda Rottenberg und andere sprachen von Zensur. Zmijewski zeigte in dieser Ausstellung im Film »Berek« (»Fangen«) von 1999 nackte Menschen in der Gaskammer eines Vernichtungslagers, die dort lachend und herumalbernd Fangen spielen. Der Film soll besonders durch den Originalschauplatz schockieren, seine »Echtheit« ist ein provozierendes Element seiner Dramaturgie. Der Ort wird jedoch nur durch die historische Tat der Vernichtung zu dem, was er symbolisiert. Weder der Name des Vernichtungslagers noch dessen Opfer werden in dem Film genannt. Die Opfer sind in ihrer Namenlosigkeit nur »Manövriermasse«. Auch wird nicht angegeben, wer die Akteure im Film sind und wie ihre Anstellung zustande kam.
In einem Gespräch mit seiner Co-Kuratorin Joanna Warsza erklärte sich Zmijewski schließlich doch. »Berek« beruhe »auf einer Wahrnehmungsdissonanz zwischen einem korrekten, also stillen und zurückhaltenden Verhalten an einem solchen Ort und dem abrupten Eingriff der nackten, von der Bewegung erhitzten Körper. Das Ergebnis ist das Gefühl einer nahezu obszönen, pornografischen Erleichterung. Niemand stirbt, und gleichzeitig vermittelt das Bild vitale, sexuelle Energie.« (6) Eine Dramaturgie, die durch Zmijewskis »Spiel« mit Verweigerung und Erklärung zu Haltung und Anspruch seines Films sowohl Rätsel aufgeben soll, wie sie brutal und »lustbetont« die Vernichtung kathartisch nachzuvollziehen sucht, ohne von ihr zu sprechen. Ein Vorgang, der hier aber als »Hanswurstiade« an die Worte von Gerhard Scheit zu Wagner, zur Methodik von dessen Antisemitismus und zur Shoah denken lässt: »Es etablierte sich in diesem ›seelischen Versteckspiel‹ eine eigene Metaphorik der Anspielung, die dem Ahnungsvollen andeutete, was geschah, und es zugleich verbarg, falls die falsche Scham noch nicht ganz überwunden sein sollte. Sie ließ um die Vernichtungslager eine Art von Aura entstehen – verlieh ihnen einen quasi-religiösen Status.« Und: »Die Vernichtungslager waren geheime Kultstätten des Nationalsozialismus. Die Aura des Geheimnisvollen erwies sich zugleich als die denkbar beste Taktik, um zum heilsgeschichtlichen Ziel des Nationalsozialismus zu gelangen. Sie bewirkte vor allem, dass die Betroffenen bis zuletzt keine Klarheit darüber gewinnen konnten, was man mit ihnen vorhatte. Die Mythisierung der planmäßigen Vernichtung endete in jenen falschen Duschen der Vernichtungslager, durch die man das Gas einströmen ließ.« (7)
Dass die Mythisierung durch Zmijewski im Grunde wiederholt wird, ohne sie als solche mit irgendeiner Position der Distanz begreiflich zu machen, lässt mit den Spekulationen und Erörterungen darüber, was Zmijewski motiviert haben mag, jenen Raum, der es Betrachtern ermöglicht, sich in affirmativen Ahnungen zu ergehen, während zugleich Zmijewski sich als Opfer der Verfolgung, der »Zensur«, schon bereithält. Der Zwang, die Shoah derart entsetzlich verdinglichen zu wollen, also die Frage, was ihn zu diesem »Witz« getrieben hat, wird dann durch Praxis beantwortet, wenn er in einem anderem Kunstwerk (nämlich im Video »80064« aus dem Jahr 2004) einen Auschwitz-Überlebenden drängt, die Tätowierung seiner Häftlingsnummer »aufzufrischen«, sich also ein zweites Mal das Symbol der Entmenschlichung eintragen zu lassen. »Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmte, Opfer zu sein.« (Zmijewski laut art-Kunstmagazin, 26. Juli 2007) Es scheint Genuss ähnlich dem Sadomasochismus zu versprechen, mit dem Ticket des »umstrittenen« Künstlers das Täter-Opfer-Verhältnis »nachzufühlen«, sowohl als Akt der erzeugten Selbstqual wie mit kalkulierter Brutalität, die an Ernst Jünger erinnert. Es blieb im Übrigen dem Leiter des Centrum Judaicum, Hermann Simon, überlassen, die Absetzung der Stücks von Zmijewski zu fordern, nachdem die Ausstellung bereits wochenlang lief und Bundespräsident Wulff sowie der polnische Staatspräsident Komorowski samt dem zahlenmäßig nicht gerade kleinen Vernissagepublikum an dem Gaskammerfilm vorbeiflaniert waren.
Antizionistische Provokationen
Die israelisch-niederländische Künstlerin Yael Bartana ist ein Gast der nächsten, siebten Berlin Biennale und wird bereits seit Monaten auf deren Website beworben. Bartana hat mit Unterstützung von Zmijewski und dem »leftist acitivist« (Artreview) Slawomir Sierakowski (beide sind Herausgeber bzw. künstlerische Leiter der linken Gruppierung und des gleichnamigen Magazins Krytyka Polityczna) eine Bewegung zur Rückkehr der Juden nach Polen gegründet, nämlich das Jewish Renaissance Movement in Poland (JRMiP), also die »Bewegung jüdischer Wiedergeburt in Polen«, wie es übersetzt wird. Auf Berlin.de (dem »offiziellen Hauptstadtportal«) liest man: »Seit ihrer Gründung 2007 hat die Bewegung internationalen Zuspruch erhalten und zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden.« Zudem wird aus der Selbstbeschreibung, dem Manifest des JRMiP zitiert: »Dies ist unsere Antwort auf die herrschenden Krisenzeiten, in denen sich der Glaube erschöpft hat und die alten Utopien gescheitert sind. Der Optimismus stirbt aus. Das verheißene Paradies ist privatisiert worden. Die Äpfel und Wassermelonen aus dem Kibbuz haben ihre Saftigkeit verloren. […] Unser Aufruf richtet sich nicht nur an Juden. In unsere Reihen nehmen wir alle auf, für die in ihren Heimatländern kein Platz ist – die Vertriebenen und Verfolgten. In unserer Bewegung wird es keine Diskriminierung geben. Wir werden nicht in Euren Lebensläufen graben, Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren, Euren Flüchtlingsstatus überprüfen. Wir werden stark sein in unserer Schwäche.«
Das JRMiP erklärt darüber hinaus auf der Website der Berlin Biennale unter dem Stichwort »JRMiP Congress«: »Auch wenn diese Rückkehr, zumindest am Anfang, symbolisch sein wird, müssen erste Schritte gemacht werden. Die Jüdinnen und Juden von heute sind nicht identisch mit jenen, die aus Europa vertrieben wurden – die Europäerinnen und Europäer von heute sind nicht diejenigen, die für die ›ethnische Säuberung‹ verantwortlich waren. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um sich wieder zu vereinen – um Europa, Israel und möglicherweise auch den gesamten Nahen Osten zu verändern.« Dieses »Projekt« wurde zuletzt unter anderem auf der Biennale in Venedig im polnischen Pavillon gezeigt, unter dem Titel »…and Europe will be stunned«, in etwa zu übersetzen mit »Europa wird sprachlos, überwältigt sein«. Eine Art Gesamtkunstwerk, das Bartana seit 2007 mit unterschiedlichsten Medien und Materialien als work in progress herstellt. Sie produziert und inszeniert Filme, Objekte, Fotografien und Plakate, Uniformen, Fahnen, Abzeichen, Tableux vivants, ein Manifest usw., in denen die »Bewegung« dargestellt wird, sich ausdrückt, konstituiert. Im Zentrum des Werkes steht eine Filmtrilogie mit den Filmen »Mary Koszmary« (»Dreams and Nightmares«, 2007), »Mur i wieza« (»Wall and Tower«, 2009) und »Zamach« (»Assassination«, 2011) sowie die Performance »We will be strong in our weakness« (aufgeführt beispielsweise 2011 beim Festival »Polski Express« im HAU Berlin).
Ist im Manifest der Gesellschaftskünstler die Utopie in Wahrheit nur als Dystopie bestimmbar, könnte hier das Fiktionale und Utopische zum Szenario des Schreckens werden. Bartana und ihre Mitstreiter fordern die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen, ob tot oder lebendig, ist nicht ganz klar. (8) Die (Spiel-)Filme stehen im Zentrum des Werks und nehmen im Stil der Dokumentation und der Propaganda dieses Ereignis vorweg. Es geht um einen Realismus der Intervention, und an diesem Anspruch eigener Glaubwürdigkeit der »Bewegung« muss das Werk beurteilt werden. Man sieht die Entstehung der »Bewegung«, die in Uniformen inklusive Halstuch, Armbinde (assoziativ ein helles Feld – Davidstern/Adler – auf dunklem Grund) und Fahnen ihre Losung veröffentlicht. Im alten, verfallenen Olympiastadion von Warschau sieht man eine Versammlung der Bewegungsaktivisten (zum Teil Schauspieler, zum Teil wirkliche Aktivisten – Juden, die Juden spielen), die einer in Polnisch gehaltenen Rede des namenlosen Anführers zuhört, in der Juden zur Rückkehr aufgerufen werden. Auf dem Gelände, wo einst das Warschauer Ghetto stand, bauen die Bewegungsmitglieder eine Art Wehrdorf oder Lager aus Holz mit Wachturm und Stacheldraht und besiedeln derart als Juden das heutige Polen. Der Anführer der »Bewegung« (gespielt von Sierakowski) fällt einem Attentat zum Opfer, sein Begräbnis als »Märtyrer« schafft erst recht die Voraussetzung für die »Bewegung«. Die Filme werden (so etwa in Venedig) im Kinoambiente einer »Black Box« abgespielt und führen in suggestiver Weise (Ton, Schnitt, Zeitlupe, Überblendungen, Wiederholung, Gesang) das Erstarken der »Bewegung« vor. Davidstern und polnischer Adler werden ineinander gelegt und bilden deren Symbol.
Die Filme zitieren, zum Teil in karikierender Weise, Elemente der Ästhetik des Zionismus vor allem der 1930er Jahre, der seinerzeit in Film und Fotografie die Errungenschaften der jüdischen Besiedlung im damaligen britischen Mandatsgebiet zeigte und als Ausdruck der Hoffnung und Zukunft gerade für verfolgte Juden in aller Welt, insbesondere auch der Jugend, Anleihen bei der russischen Avantgarde, beim Konstruktivismus und beim Formenrepertoire der Moderne nahm. Die Ambivalenz der Filme von Bartana ist signifikant. Es wird der Anschein der Ernsthaftigkeit vorgetragen, die Rückkehr wirklich zu wollen (man kann auch Mitglied werden); zugleich wird der Zionismus ironisch instrumentalisiert und latent denunziert, durchaus spöttisch, um das Unmögliche des mit Ernst vertretenen Anliegens zu zeigen. Die »Dummheiten« der Massenbewegungen des 20. Jahrhundert werden gerade ihm zugeschrieben, Andeutungen eines Führerkults, der Frohsinn der Menge, die Neigung zu Fanatismus und Pathos. Die Unmöglichkeit der »Rückkehr«, in Kenntnis der Geschichte der Shoah, die Dämonie des Projekts – das gegenüber realen Wünschen von Juden nur konzeptionell Interesse zeigen kann – implizieren zugleich durch die zionistische Gestalt der »Bewegung« die Unmöglichkeit des Lebens in Israel. Was als Provokation der Europäer daherkommt, zielt letztlich, in jeder der explizit oder implizit angedeuteten Lesarten des Spektakels, gegen den jüdischen Staat.
Zum zweiten und letzten Teil des Beitrags geht es hier.
Anmerkungen
(1) Günther Jacob: Die Metaphern des Holocaust während des Kosovokriegs. In: 1999, Heft 1/2000, S. 179.
(2) Alex Feuerherdt: Alles bewältigt, nichts begriffen. In: Konkret, Heft 3/2012, S. 21.
(3) Jacob (siehe Anmerkung 1), S. 183. »Das Projekt Berlin-Birkenau bringt einige Hundert junge Birken aus der Umgebung von Auschwitz-Birkenau nach Berlin«, schreibt die Berlin Biennale über das Kunstwerk »Berlin-Birkenau« von Lukasz Surowiec. Die »Birkensetzlinge schaffen ein persönliches, auf Eigeninitiative beruhendes Mahnmal, dessen Erhalt von seinem Besitzer abhängt«. Diese »postmortale Adoption« (Eike Geisel), eine Art Recycling von »Kitsch und Tod«, zeigt in den Worten von Eike Geisel, dass »aus der Asche der Ermordeten der Stoff geworden« ist, mit dem sich das neue Deutschland »das gute Gewissen macht«. Eike Geisel: Opfersehnsucht und Judenneid, Berlin 1994; ders.: Triumph des guten Willens, Berlin 1998, S. 60.
(4) Siehe Jan-Georg Gerber: Kunst, Recycling, Entsorgung. Mit Benjamin gegen Adorno. In: Bahamas, Nr. 63, Winter 2011/12, S. 52/54.
(5) Aus Respekt Kurzfilm aus Ausstellung entfernt, in: FAZ vom 1. November 2011 (nur Printausgabe).
(6) Artur Zmijewski im Gespräch mit Joanna Warsza. In: das magazin der kulturstiftung des bundes, Nr. 18, Herbst/Winter 2011, S. 37.
(7) Gerhard Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus. 2., verbesserte und erweiterte Auflage, Freiburg 2006, S. 325.
(8) Raul Hilberg nennt für das Jahr 1939 3.350.000 jüdische Einwohner Polens, für das Jahr 1945 50.000. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Band 3, Frankfurt/Main 1990, S. 1116.
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