Über etwas in die Jahre gekommene, aber nach wie vor unbeugsame deutsche Friedensfreunde mit und ohne Doktortitel sowie ihre chronische Zuneigung zu Völkern und Führern wider den Westen.
VON STEFAN FRANK
In den achtziger Jahren ließ Muammaer al-Gaddafi nicht nur Terroranschläge auf Passagierflugzeuge, Flughäfen und Synagogen in aller Welt verüben, sondern er führte auch einen richtigen Krieg mit echten Panzern und Kanonen. Sein Ziel war der Tschad, den er militärisch unterwerfen und zu seiner Kolonie machen wollte. An Waffen fehlte es ihm nicht, wohl aber an Soldaten. Darum rekrutierten die libyschen „Volksbüros“ (so nannte Gaddafi seine Botschaften, aus denen heraus zuweilen Passanten erschossen wurden) überall auf der Welt Söldner, so viele, wie man eben für viel Geld und leere Worte bekommen konnte.
Der Tschad verteidigte sich tapfer und fügte dem Image des Tyrannen einen Schaden zu, den er nie wieder reparieren konnte. Nun, da vielleicht die letzten Tage seiner Herrschaft angebrochen sind, greift er wieder auf die alte Methode zurück. Stellenausschreibungen für todessüchtige „Gotteskrieger“ (Beschreibung der Tätigkeit: „Heiliger Krieg gegen Kreuzritter“) werden veröffentlicht. Beobachter in Tripolis gingen allerdings „nicht davon aus, dass sich eine große Zahl von Freiwilligen melden wird“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Es herrscht Fachkräftemangel. Da trifft es sich gut, dass ich zufällig ein paar Dutzend Leute kenne, die ich gern nach Libyen schicken würde. Den Beweis dafür, dass sie sich mit Gaddafis Sache hundertprozentig identifizieren, haben sie bereits erbracht, die „Erstunterzeichner“ eines im Juni veröffentlichten Aufrufs:
Seit mehr als zwei Monaten bombardieren die USA und andere NATO-Staaten Tag für Tag und vor allem nachts die Millionenstadt Tripolis und andere Orte in Libyen. Zugleich versuchen sie, das libysche Volk durch Beschlagnahmung seiner Gelder und durch eine Hungerblockade gefügig zu machen. […] Ihr Vorwand, sie wollten „Menschenleben retten“, ist angesichts der wachsenden Dauer ihres Bombenkrieges und der steigenden Opferzahlen absurd und zynisch. Springer- und andere Konzernmedien sowie auch die öffentlich-rechtlichen Sender schweigen jedoch über die Toten, die Verstümmelten, die Zerstörungen, das Flüchtlingselend, die Vergiftung der Böden mit Uranmunition. Der Wüstenstaat, der unter seinem Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi seiner Bevölkerung dank der Nationalisierung seines Ölreichtums den höchsten Wohlstand in Afrika mit unentgeltlichem Bildungs- und Gesundheitswesen, mit hochentwickelten Rechten für Frauen und Kinder bieten konnte, droht in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen zu werden. Wie in der Kolonialzeit selbstbewusst gewordene Sklaven vor den Augen ihrer Schicksalsgefährten öffentlich ausgepeitscht wurden, so wollen heute führende NATO-Staaten das libysche Volk, auch als Warnung für die Völker der Dritten Welt, mit Bomben, Raketen und gegebenenfalls militärischer Besetzung dafür bestrafen, dass es sich ihrem Diktat entzieht, seinen eigenen Entwicklungsweg geht, sich für die Einheit und Unabhängigkeit der arabischen Welt und Afrikas einsetzt und sich jeglicher Rekolonialisierung verweigert. Wir fordern die Bundesregierung auf, keine Nutzung deutscher Einrichtungen für die Aggression…
Und so weiter. Hätten Sie gewusst, dass das libysche Volk Gelder im Ausland hat? Und dass 42 Jahre Sklaverei für Gaddafis Familie unter der Aufsicht von Geheimdiensten und Exekutionskommandos nichts anderes waren als die Freiheit, die sie meinen – hochentwickelt und unentgeltlich? Kein Zweifel, das sind Gaddafis Leute: Rolf Becker, Schauspieler; Franz Josef Degenhardt, Musikant; Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Heinz Holz, Philosoph; Dr. Bahman Nirumand, Publizist; Prof. Dr. Kurt Pätzold, Historiker; Eckart Spoo, Publizist und Herausgeber des Ossietzky (Kennen Sie den? Was ist der Unterschied zwischen Eckart Spoo und Carl von Ossietzky? – Ossietzky war nie Herausgeber des „Spoo“); Gerhard Zwerenz, Schriftsteller. Auch dabei: der Synagogenkritiker Werner Rügemer und Evelyn Hecht-Galinski, deren Beruf es ist, in ihrer Eigenschaft als Tochter eines Vaters Interviews zu geben, und die deshalb als „Publizistin“ vorgestellt wird.
Ob Gaddafi mit diesem letzten Aufgebot etwas anfangen kann? Zugegeben, keiner dieser ABC-Dr.-Schützen ist im wehrfähigen Alter, fast alle sind über 70. Die nötige Grundaggressivität aber bringen sie noch mit. Vielleicht kann man sie mit Propagandaaufgaben betrauen. Immerhin sind sie in der Lage, Texte zu schreiben, in denen die Wörter „Volk“ und „Führer“ vorkommen. Volk-und-Führer-Manifeste, noch dazu unterschrieben von Doktoren und Professoren, das gibt es heute nicht mehr oft. Vorbild ist zweifellos das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler“ vom November 1933:
Die Welt ist nicht restlos ein Freund jenes neuen Deutschlands, das mit revolutionärem Elan von Adolf Hitler geformt wurde. Noch immer finden sich genügend Hetzer und Verleumder, die bereit sind, das neue Reich zu schmähen. Böswillige Gegner und charakterlose Landesverräter scheuen sich nicht, den zu erwartenden gewaltigen Erfolg der Wahl bereits jetzt als das Ergebnis eines parteimäßigen Terrors hinzustellen. Sie wollen nicht bekennen, dass der Führer keinerlei Druckes auf die Wähler, sei es durch Partei- oder Regierungsstellen, bedarf, da er sich das Herz des ganzen deutschen Volkes erobert hat und ihm die gesamte Nation in voller Einmütigkeit und erschütternder Hingabebereitschaft in allem zu folgen bereit ist.
Ein Professor ergänzte:
Der Führer hat gesagt: Wir wollen die Gleichberechtigung haben mit den anderen Mächten – wir stehen hinter ihm!
Der Führer hat gesagt: Wir wollen Freiheit haben, dass wir dieses Haus aufbauen können, wie ich es angedeutet habe – wir stehen hinter ihm!
Der Führer hat gesagt: Wir wollen Frieden haben, dass wir in Arbeit wiederaufrichten können, was Unfrieden zerstört hat – wir stehen hinter ihm!
Der Führer hat gesagt: Wir wollen unsere deutsche Ehre wiederhaben, wie sie unsere Väter gehabt haben – wir stehen hinter ihm!
Der Führer hat die Größe, dass er gesagt hat: Ich habe es nicht nötig, Krieg zu führen wie andere Nationen! Wir haben es nicht nötig, Krieg zu führen wie die Napoleone, die ihren Thron halten wollten nach einer Revolution! Der Führer hat die Größe gehabt, zu sagen: Ich frage das ganze deutsche Volk, ob es mit seinem Willen hinter mir steht; und morgen wird das ganze deutsche Volk sagen: Ja! Ja!
Das alles sieht dem Pro-Gaddafi-Aufruf der Uni-Rentner so ähnlich, dass man schon von einer neuen Plagiatsaffäre sprechen könnte. Aber Gaddafi wird sich nicht beschweren, bei der Wahl seiner Freunde ist er recht anspruchslos. Es reicht, wenn sie sich dem Kampf gegen den kosmopolitischen Feind verschrieben haben. Und das haben die Unterzeichner.
Ich warte auf die Sendung des Deutschlandradios, die so beginnt: „Am Telefon begrüße ich jetzt Evelyn Hecht-Galinski. Sie ist die Tochter des früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden und wird erklären, warum das libysche Volk dank seinem Führer Muammar Al-Ghaddafi in Wohlstand lebt und hochentwickelte Rechte genießt. Guten Morgen, Frau Hecht-Galinski!“
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