Das Arschgeweih des Feuilletons

Dass der Antisemitismus der Sozialismus der dummen Kerls sei, ist ein schon länger bekanntes Diktum, das gemeinhin August Bebel zugeschrieben wird (wiewohl Bebel selbst den österreichischen Politiker Ferdinand Kronawetter als Urheber nannte). Diese These hat fraglos ihre unbedingte Berechtigung, doch der Antisemitismus erschöpft sich darin nicht, er ist noch weit mehr: der völkische Kitt der formierten Gesellschaft, das Rauschmittel der Enthaltsamkeitsapostel, die Gesinnung der Besinnungslosen – und das Arschgeweih des Feuilletons (also der – vermeintlich – klugen Kerls), wie die Süddeutsche Zeitung in ihrer Printausgabe vom 2. Juli eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.* Dort ist nämlich in der Rubrik »Das politische Buch« ein Beitrag von Heiko Flottau erschienen, der die Überschrift »Der Niedergang des liberalen Zionismus« trägt und sich mit zwei unlängst veröffentlichten Publikationen zum jüdischen Staat befasst: »Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft« von Peter Beinart und »Staatsraison? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet« von Werner Sonne.

Die Rezension selbst ist dabei noch nichts, was man in Bezug auf die Thematik nicht ohnehin von dieser Zeitung kennt und gewohnt ist: »Welchen Charakter hat dieses Israel heute, für dessen Bestand die Bundesrepublik seit mehr als einem halben Jahrhundert Milliardensummen ausgibt?«, fragt Flottau vor allem rhetorisch, bevor er den amerikanischen Politikwissenschaftler Beinart und den früheren ARD-Korrespondenten Sonne genau jene Antworten geben lässt, die der gemeine SZ-Leser erwartet: An die Stelle »jüdischer Ohnmacht« sei »jüdische Macht« und vor allem deren »Missbrauch« getreten, weshalb die Juden mit sich »ins Gericht gehen« sollten, statt weiterhin eine »großisraelische Versuchung« zu unterstützen und dafür auch noch Hilfe aus Deutschland in Anspruch zu nehmen. »Wie im Verhältnis amerikanischer Juden zu Israel könnte auch im Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel etwas ›falsch laufen‹«, beschließt Flottau in eigenen Worten seinen Text – und dass dieser Satz nicht nur die Forderung nach einem Ende der finanziellen und militärischen Unterstützung Israels einschließt, sondern ein Plädoyer für noch drastischere Maßnahmen ist, ist bereits zuvor so klar geworden, dass es nun gar nicht mehr ausgesprochen werden muss.

Was den Beitrag selbst für SZ-Verhältnisse in besonderem Maße unappetitlich werden lässt, ist seine Bebilderung, genauer gesagt: die Kombination aus Bild und Bildunterzeile in Verbindung mit der Überschrift. Das Bild ist eine Schöpfung des Künstlers Ernst Kahl, die ein mit großen, spitzen Ohren, breitem Maul, Raffzähnen und Hörnern ausgestattetes, dämonenartiges Wesen zeigt, das Messer und Gabel in den Pranken hält und finsteren Blickes darauf wartet, dass ihm das Essen an das Bett gebracht wird, in dem es liegt. Vor diesem Wesen steht eine Frau mit einem gedeckten Tablett und umgebundener Schürze, offenbar eine Art Hauswirtschafterin des Dämons. In der Bildunterzeile heißt es: »Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.« So sieht er also aus, der »Niedergang des liberalen Zionismus«.

Ernst Kahl hatte das Bild vor vielen Jahren für die Zeitschrift Der Feinschmecker angefertigt, in einem völlig anderen Zusammenhang, ohne jeden Bezug zum jüdischen Staat. Gegenüber der Jüdischen Allgemeinen hat er dann auch sein Entsetzen über die Zweckentfremdung durch die Süddeutsche Zeitung zum Ausdruck gebracht und erklärt: »Ich wäre gern vorher gefragt worden. Dann hätte ich mit Sicherheit Nein gesagt.« Doch Kahl wurde nicht gefragt, und so verwandelte das Münchner Blatt sein Bild durch die entsprechende Kontextualisierung und die Bildunterschrift in eine Karikatur im Stürmer-Stil; zu sehen ist jetzt »der hässliche, gefräßige Jude, ein Moloch in Menschengestalt, der im Begriff ist, sich die Welt einzuverleiben«, wie Henryk M. Broder schreibt. Israel, der »Jude unter den Staaten« (Léon Poliakov), wird also buchstäblich dämonisiert.

Franziska Augstein, die Verantwortliche für die SZ-Rubrik »Das politische Buch«, sieht das gleichwohl anders; sie glaubt, dass die Bildunterschrift gerade nicht dafür sorgt, dass Kahls Bild antisemitisch aufgeladen wird. Doch da irrt sie gründlich. Schon die ersten beiden Sätze – »Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt« – erinnern frappierend an eine Aussage, die Augsteins Halbbruder verdientermaßen einen Platz in den »2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs« des Simon Wiesenthal Centers eingebracht hat. »Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen«, hatte Jakob Augstein in seinem von Spiegel Online veröffentlichten Beitrag mit dem Titel »Die deutsche Atom-Lüge« geschrieben und damit die alte Mär von den Juden wiedergekäut, die sich die Welt und insbesondere die Deutschen untertan machen. In Kahls Bild wird »Deutschland«, so legt es die SZ nahe, durch die Dienerin des Teufels verkörpert.

Die anderen beiden Sätze in der Bildunterzeile haben es ebenfalls in sich. »Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch«, heißt es dort weiter – und einmal abgesehen davon, dass »Israels ärgste Feinde solche ehrenwerten Sozietäten wie die Hamas, die Hisbollah und die iranischen Mullahs« sind, wie Broder hervorhebt, ist es gerade das zweckentfremdete, markant platzierte, einen gefräßigen Moloch zeigende Bild, mit dem die SZ erstens suggeriert, dass Israels Feinde Recht haben (eine andere Deutung scheidet hier schlichtweg aus, weil auch der Artikel selbst sie bestätigt), und sich zweitens dezidiert in die Phalanx dieser Feinde einreiht. »Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist«, lautet der letzte Satz der Unterzeile – und weil Beinart nicht die Feinde kritisiert, sondern Israel, sagt dieser Satz nichts anderes aus, als dass der jüdische Staat selbst schuld am Judenhass ist. Noch so eine alte antisemitische Legende, mit der die Judenhasser Notwehr geltend machen zu können glauben.

»Nachdem das Bild zu Missverständnissen geführt hat, wäre es besser gewesen, ein anderes zu wählen«, versucht Franziska Augstein derweil abzuwiegeln. Schließlich solle ja »über den Artikel diskutiert werden, nicht über die Bebilderung«, und der Text von Heiko Flottau »über zwei Israel-Bücher, deren Autoren für die Demokratie in Israel fürchten«, lohne »das Lesen und die Debatte«. Was aber, wenn da jemand in Augsteins Beritt Flottaus Beitrag gar nicht miss-, sondern im Gegenteil völlig richtig verstanden, in der Bildunterschrift präzise zusammengefasst und – so viel Demagogie genehmigen sich Judenfeinde nun mal – unter hinterhältiger Instrumentalisierung eines keineswegs israelfeindlichen Künstlers pointiert bebildert hätte? Was also, wenn da jemand einfach etwas zu offensiv mit dem Konsens der Süddeutschen Zeitung umgegangen wäre und ausgeplaudert hätte, was die »Israelkritik« in Wahrheit speist, gebe sie sich auch noch so sehr als »Furcht« um den »demokratischen Charakter Israels« aus? Honi soit qui mal y pense.

*Nachtrag (4. Juli 2013): In zwei E-Mails an Lizas Welt legt Johan Schloemann, Feuilleton-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Wert auf die Feststellung, dass die von Franziska Augstein verantwortete Rubrik »Das politische Buch« nicht zum SZ-Feuilleton gehört, sondern bei der Innenpolitik »ressortiert«. Zwar finde er die kritisierte Seite ebenfalls »ganz schlimm«, doch sei sein »Hinweis auf die Zuständigkeit der verschiedenen Ressorts, die in großer Unabhängigkeit voneinander arbeiten, gerade nicht nur ein formaler, sondern einer, der die Stoßrichtung Ihres Textes betrifft«. Ich habe Schloemann daraufhin dies geantwortet: »Wenn mich nicht alles täuscht, ist ›Das politische Buch‹ ein feuilletonistisches Format, das seinen Platz aus nachvollziehbaren Gründen im Kulturteil der SZ hat (und eben nicht im Bereich Innenpolitik), gleich hinter dem Teil, der auch redaktionsoffiziell mit ›Feuilleton‹ überschrieben ist. Es mag ja sein, dass diese Rubrik formal woanders ›ressortiert‹, aber das ist für meine Kritik unerheblich, weil es mir nicht um die internen Zuständigkeiten der SZ ging, sondern um eine, sagen wir ruhig: Genrekritik. Ich verstehe ja, dass es Ihnen peinlich ist, wenn eine Kollegin, die formal zu einem anderen Ressort gehört, Ihre Gattung in Verruf bringt. Aber das lässt sich nicht einfach durch den Hinweis darauf, dass die Betreffende in einem anderen Großraumbüro ihren Dienst versieht, aus der Welt schaffen. Wenn Sie die Seite also tatsächlich so schlimm finden, wie Sie schreiben, sollte die Adressatin Ihrer Klage dann nicht eher Frau Augstein sein als ich? Im Übrigen – und auch das ist, wie ich hoffe, in meinem Text deutlich geworden – ist die Art von ›Israelkritik‹, wie sie nun auf der Seite ›Das politische Buch‹ zum Ausdruck gebracht worden ist, ressortübergreifend charakteristisch für die SZ.«