Chronische Freunde

Ein paar Politologen haben sich kürzlich ein ganzes Manifest lang den Kopf darüber zerbrochen, wie sie die Shoa produktiv für die „Israel-Kritik“ nutzen können. Herausgekommen sind dabei Sätze wie „Ohne den Holocaust an den Juden würde die israelische Politik sich nicht berechtigt oder/und gezwungen sehen, sich so hartnäckig über die Menschenrechte der Palästinenser und der Bewohner Libanons hinwegzusetzen“ und „Ohne den Holocaust erhielte Israel dafür nicht die materielle und politische Rückendeckung der USA. Was ein Holocaust ist, weiß niemand so gut wie die Deutschen; schließlich ist er ihre Erfindung.

Wenn also einige ihrer Studierten schreiben, dass die Palästinenser die eigentlichen Opfer der nazistischen Vernichtungspolitik seien – weil „der Holocaust […] das seit sechs Jahrzehnten anhaltende und gegenwärtig bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Leid über die (muslimischen wie christlichen und drusischen) Palästinenser gebracht hat“, die Juden es also noch schlimmer treiben als ihre vormaligen Peiniger –, wissen sie, wovon sie sprechen. Denn sie sind Holocaust-Experten mit nachgerade enzyklopädischem Wissen über tote Juden und glauben dadurch das Recht, wo nicht die Pflicht erworben zu haben, nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz den lebenden Juden unmissverständlich zu zeigen, die Lektion im Unterschied zu ihnen gründlich gelernt zu haben. Antisemiten sind solche Bescheidwisser selbstverständlich nicht, sondern im Gegenteil die besten Freunde der Juden. Warum das, was sie denken und tun, gerade deshalb regelmäßig im Wortsinne unter die Gürtellinie geht, und was ihren Antrieb ausmacht, weiß Henryk M. Broder in seinem Gastbeitrag für Lizas Welt.

Henryk M. Broder

Was Antisemiten aufgeilt

Wir haben es mal wieder mit der alten Frage zu tun, woran man einen Antisemiten erkennt. Es will ja niemand ein Antisemit sein, so wie niemand ein Vergewaltiger, Kinderschänder oder Tierquäler sein will, die es ja reichlich gibt. Ein sicheres Zeichen ist: Der Antisemit klebt am Juden wie ein Stück Hundescheiße an der Schuhsohle. Will man ihn loswerden, muss man kräftig auftreten oder an der Bordsteinkante schaben. Aber der fiese Geruch bleibt. Bis vor kurzem war der Proto-Antisemit damit beschäftigt, zu beweisen, dass es den Holocaust nicht gegeben hat. Inzwischen kann er vom Holocaust nicht genug bekommen, schon weil er ihn als Argument dafür braucht, dass die Israelis den Palästinensern das Gleiche antun, was die Nazis den Juden angetan haben.

Die Frage „Ja, haben denn die Juden im Gegensatz zu uns nix aus ihrer Geschichte gelernt?“ könnte nicht gestellt werden, wenn sie nicht im Holocaust begründet wäre. Die Tatsache, dass die Deutschen seit inzwischen 61 Jahren keine Juden mehr verfolgen, also aus der Geschichte gelernt haben, während die Juden seit mindestens 58 Jahren auf die Palästinenser draufhauen, also aus der Geschichte nicht gelernt haben, konstituiert ein moralisches Gefälle zugunsten der Deutschen. Oder, wie es Wolfgang Pohrt einmal gesagt hat: Die Deutschen haben es sich zur Aufgabe gemacht, darauf aufzupassen, dass ihre Opfer nicht rückfällig werden.

Ein besonders ekelhafter Vertreter dieser Spezies von Bewährungshelfern hat es sich zur Pflicht gemacht, mich über seine Aktivitäten zu informieren, von denen ich nix wissen will. Er betreibt eine „Tag-für-Tag-Chronologie des Holocaust“, die so überflüssig ist wie der Holocaust selbst, und sucht nicht nur nach Sponsoren für sein Hobby, sondern nach wenigstens einem Juden, der das Projekt für koscher erklärt. Bis jetzt hat sich noch keiner bereit gefunden. Zuspruch bekommt er nur aus dem Milieu, das den Holocaust der Nazis verdammt, um den Holocaust, den Ahmadinedjad plant, propagandistisch vorzubereiten.

Die tägliche Beschäftigung mit dem Holocaust hindert ihn nicht daran, gelegentlich das antisemitische Schwein von der Leine zu lassen. Auf einen Text von mir, der nichts mit Juden, nichts mit Antisemitismus, nichts mit dem Holocaust und auch nichts mit ihm zu tun hatte, schickte er mir eine seltsame E-Mail:

„Lese eben Spiegel Online. Sehe, dass ich Ihnen Unrecht getan habe. Sie wollen nicht das Abendland retten, sondern den deutschen Schweinebraten und die deutsche Vorhaut. Wohl bekomm’s.“

Seltsam, nicht wahr, wie das antisemitische Kleinhirn funktioniert und welche Assoziationen es herstellt. Denn der Antisemit möchte nicht nur wissen, was der Jude auf dem Konto und im Kopf hat, vielmehr interessiert es ihn, wie es in seiner Hose aussieht. Das ist es, was ihn umtreibt, alles andere ist Beiwerk. Noch am selben Tag hatte er einen weiteren wertvollen Hinweis für mich parat:

„Das könnte Sie interessieren: www.wichs-center.de

Das ist vermutlich die Seite, die er zum Aufwärmen besucht, bevor er dann bei den toten Juden und der Chronologie des Holocaust voll in die Gänge kommt. Ihm ist alles recht, solange es ihn nur aufgeilt.