Effektiver als Bombengürtel

Die Palästinensische Autonomiebehörde plant, im September einseitig einen palästinensischen Staat auszurufen. Obwohl dieser Schritt einen klaren Bruch internationaler Vereinbarungen bedeuten würde, signalisieren immer mehr Staaten und Organisationen ihre Zustimmung. Für Israel wären die Folgen katastrophal.


VON KEVIN ZDIARA


Wenn man in einigen Jahren zurückblickt, dann könnte sich das Jahr 2011 als dasjenige herausstellen, in dem das Schicksal Israels besiegelt wurde. Und das nicht deshalb, weil der jüdische Staat militärisch oder terroristisch in die Knie gezwungen worden wäre, sondern weil 2011 den Beginn einer massiven internationalen Kampagne markierte, an dessen Ende die vollständige Delegitimierung Israels stand.

Das Ganze begann mit der zweiten Ernennung Salam Fayyads zum palästinensischen Ministerpräsidenten im Mai 2009. Fayyad ist gewissermaßen das Gegenmodell zu Yassir Arafat und auch zu dem vermeintlich moderateren Mahmud Abbas. Er promovierte in den Vereinigten Staaten zum Wirtschaftwissenschaftler, arbeitete in den USA und war anschließend unter anderem der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Obwohl Fayyad nicht der Fatah angehörte, ernannte Arafat ihn 2002 zum Finanzminister. Fünf Jahre später wurde er Ministerpräsident unter Abbas; diese Position übernahm er 2009 – nach dem gescheiterten Versuch, eine Einheitsregierung aus Fatah und Hamas zu bilden – zum zweiten Mal.

Als Salam Fayyad seine zweite Amtszeit antrat, kündigte er an, innerhalb von zwei Jahren die palästinensischen Institutionen und die Infrastruktur so zu reformieren, dass sie für die Ausrufung eines palästinensischen Staates bereit sind. Viele zweifelten an seiner Vision, und kaum jemand glaubte an die Ernsthaftigkeit des Vorhabens. Doch mittlerweile sieht das alles anders aus. Es könnte sich langfristig als die effektivste Taktik der Palästinenser gegen Israel seit 1948 herausstellen. Denn auf einen „friedlich“, aber einseitig ausgerufenen Staat Palästina könnte Israel weder militärisch effektiv reagieren, noch würde es, wie zu den Zeiten der zweiten Intifada, zerfetzte israelische Busse und Israelis zu sehen geben, die die „palästinensische Sache“ in der Weltöffentlichkeit diskreditieren könnten. Eine unilaterale Staatsausrufung würde die internationale Dämonisierung und vollkommene Delegitimierung des jüdischen Staates ermöglichen, ohne dass sich die Palästinenser dabei die Hände schmutzig machen müssten.

Der Fayyad-Plan

Der so genannte Fayyad-Plan wurde im August 2009 unter dem Titel „Die Besatzung beenden, einen Staat aufbauen“ als Programm der Palästinensischen Autonomiebehörde veröffentlicht. Darin wird die Errichtung eines palästinensischen Staates innerhalb von zwei Jahren als Ziel genannt. Die Sprache dieses Programms könnte man einerseits als einigermaßen moderat beschreiben – so wird beispielsweise explizit auf die Grenzen von 1967 verwiesen –, andererseits wird Jerusalem ausdrücklich als palästinensische Hauptstadt benannt, wobei allerdings nicht von einer geteilten Kapitale gesprochen wird. Vor allem aber soll der „arabische Charakter und Status Jerusalems“ verteidigt werden. Hauptsächlich geht es in dem Papier darum, Strukturen zu schaffen und Maßnahmen zu benennen, die für einen funktionierenden Rechtsstaat mit einer freien Marktwirtschaft notwendig sind. Es handelt sich also durchaus um eine grundlegend neue und andere Vorstellung von einem Staat Palästina als bisher.

Hinzu kommen Fayyads Image als rationaler Technokrat und seine Überparteilichkeit; diese Eigenschaften scheinen ihn besonders für westliche und auch für israelische Politiker interessant zu machen. Israels Präsident Shimon Peres pries Fayyad im vergangenen Jahr sogar als „ersten Ben-Gurionisten der Palästinenser“. Doch die Tücken liegen im Detail, denn der palästinensische Premierminister verabschiedet sich in seinem Plan von den allseits anerkannten Oslo-Prinzipien, die explizit jegliches Schaffen von Fakten ohne vorherige Gespräche ausschließen – wozu sowohl eine israelische Annexion des Westjordanlands zählt als auch die unilaterale Ausrufung eines palästinensischen Staates. Entsprechend findet man einen Hinweis auf Gespräche mit Israel in dem Papier ebenso wenig wie Anhaltspunkte dafür, dass der jüdische Staat ein Friedenspartner ist. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass Fayyad im November 2009 in einem Interview unumwunden zugab, dass sein Plan nicht mit Israel abgestimmt war: „Sie [die Israelis] sagen, er sei unilateral, dazu sage ich: ‚ja’. Das gebe ich zu. Es ist effektiver Unilateralismus.“ Auch israelische Experten hoben die Gefahr hervor, die in Fayyads Vorhaben steckt. Die beiden für das Jerusalem Center for Public Affairs tätigen Nahostexperten Dan Dikers und Pinhas Inbari beispielsweise betonten in ihrer Analyse des Fayyad-Plans zwar, dass das Papier als deutliche Kampfansage an die Fatah und ihren Führer Mahmud Abbas verstanden werden müsse und es der erste ernsthafte palästinensischen Versuch sei, Maßnahmen zu einer Staatsbildung zu präsentieren. Auch lobten sie ausdrücklich Fayyads Vermeidung jeglicher militärischer Sprache und die moderaten Töne in dem Plan.

Dennoch schlossen Dikers und Inbari mit einer Warnung: „Angesichts der wachsenden Spannungen und Machtkämpfe unter den Palästinensern übertreffen die Risiken und Gefahren eines solchen Plans sein Potenzial, die Palästinenser zu einen und den Konflikt mit Israel zu beenden. Fayyads Plan würde darüber hinaus einseitig das diplomatische Paradigma zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und dem Staat Israel von einem rechtlich basierten Verhandlungsprozess in eine unilaterale palästinensische Initiative verwandeln, mit weitreichenden und problematischen rechtlichen, politischen und sicherheitspolitischen Implikationen für Israel, die Palästinenser sowie andere regionale Akteure.“ Dikers und Inbari gingen hier noch von bis aufs Blut verfeindeten palästinensischen Organisationen aus – was jedoch mit der kürzlich erfolgten Einigung zwischen der Fatah und der Hamas vorerst obsolet geworden ist, offiziell zumindest –, ferner war für sie die Option der einseitigen Staatsausrufung und der Anerkennung durch die UN-Vollversammlung eher eine hypothetische denn eine reale Möglichkeit.

Mittlerweile hat der Fayyad-Plan jedoch eine Eigendynamik entwickelt, die längst nicht mehr nur von Fayyad und seinem Vorgehen abhängt. Diese Eigendynamik scheint im Umfeld des Palästinenserpräsidenten Abbas erkannt worden zu sein und könnte als „Fayyad-Taktik“ beschrieben werden. Das Nahziel dieses Vorgehens ist ein von der UN-Vollversammlung anerkannter Palästinenserstaat; das strategische Ziel bleibt aber die vollständige „Befreiung Palästinas“, was nichts anderes heißt als die Vernichtung Israels. Dass diese Taktik bereits erste Folgen für das Handeln der palästinensischen Seite gegenüber Israel zur Folge hatte, lässt sich beispielsweise an den gescheiterten Verhandlungen zwischen Abbas und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu aufzeigen. Denn im Lichte der „Fayyad-Taktik“ besehen handelte es sich um ein durchaus kalkuliertes Vorgehen der palästinensischen Seite: Wozu und worüber verhandeln, wenn 2011 ohnehin ein palästinensischer Staat ausgerufen wird? Zumal das Scheitern der Gespräche einmal mehr alleine der israelischen Seite angelastet wurde – und das, obwohl die Palästinenser neun Monate eines historisch einmaligen zehnmonatigen Siedlungsbaumoratoriums verstreichen ließen, bevor sie Verhandlungen überhaupt zustimmten, und obwohl Netanyahu sich als erster dem Likud angehörender Premierminister zu einem palästinensischen Staat bekannte. Die Ablösung vermeintlich „moderater“ palästinensischer Kräfte ist sodann nicht nur möglich, sondern vielmehr folgerichtig und wahrscheinlich. Die ersten Zeichen dafür gibt es bereits: Unmittelbar nach dem erreichten Versöhnungsabkommen zwischen der Fatah und der Hamas wurden die Rufe nach einer Ablösung Fayyads wieder lauter.

Geldgeber als Geburtshelfer

Für Israel sind diese Entwicklungen höchst beunruhigend. Und dies umso mehr, als auch internationale Organisationen diese Strategie unterstützen und so in gewisser Weise an der Unterminierung des jüdischen Staates mitarbeiten. So gaben beispielsweise die beiden größten internationalen Geldgeber der PA, der Internationale Währungsfond und die Weltbank, den Palästinensern im April dieses Jahres grünes Licht für die Ausrufung ihres Staates und bescheinigten Salam Fayyad, sein Ziel erreicht und quasi-staatliche Strukturen geschaffen zu haben. Der IWF bestätigte in einem Report, dass die Autonomiebehörde fähig sei, jene solide Wirtschaftspolitik zu betreiben, die von einem zukünftigen, gut funktionierenden palästinensischen Staat erwartet würde. Zudem hatte der Währungsfonds eine klare politische Botschaft an Israel: Um die wirtschaftliche Entwicklung in den palästinensischen Gebieten zu stärken, solle die israelische Regierung alle Restriktionen gegenüber dem Gazastreifen so bald wie möglich beenden.

Die Weltbank schlug in ihrem Bericht zur Westbank und zu Gaza in die gleiche Kerbe. Einerseits unterstützt sie darin die Ausrufung eines palästinensischen Staates, indem sie der PA bescheinigt, in ihrem Aufbau von Institutionen und der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen so weit zu sein, dass sie für die Gründung eines Staates in naher Zukunft sehr gut positioniert sei. Andererseits bemängelte die Weltbank in ähnlichen Worten wie der IWF, dass eine wirkliche florierende Privatwirtschaft nicht entstehen könne, solange Israel den Zugang zu natürlichen Ressourcen und Märkten einschränke und Investoren aufgrund der zusätzlichen Kosten, die durch die Blockade Gazas entstünden, von Investitionen abhalte. Es scheint fast überflüssig zu betonen, dass der Terror aus Gaza und im Westjordanland mit keiner Silbe erwähnt wurde; auch die bestehende Rechtsunsicherheit aufgrund des islamistischen Bandenwesens in Gaza wurde nicht als ein Haupthindernis identifiziert. Obwohl ein rein ökonomischer Blick auf die Daten den beiden Institutionen Recht gibt – das Westjordanland verzeichnete unter Fayyads Ägide im Jahr 2010 ein Wirtschaftswachstum von 9,4 Prozent –, sind ihre eindeutig politischen Empfehlungen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine einseitige Ausrufung eines Palästinenserstaates den Verhandlungen mit Israel vorziehen.

Vollversammlung und Völkerrecht

Ähnlich sieht es im Bereich der Politik aus, wo nahezu alle Zeichen für einen palästinensischen Staat auf grün stehen. Denn die PA war bezüglich der politischen Legitimierung eines solchen Staates äußerst erfolgreich und kann eine aus ihrer Sicht geradezu grandiose Bilanz vorweisen. So unterhalten die Palästinenser bereits Botschaften in 69 Ländern, und gar 112 Länder haben einen palästinensischen Staat anerkannt, ohne dass dieser offiziell ausgerufen worden wäre. Insbesondere das linkspopulistische Südamerika spielte hierbei in den letzten Monaten eine unrühmliche Rolle. Das sind die denkbar besten Voraussetzungen, um auch eine vollständige völkerrechtliche Legitimierung durchzusetzen. Zwar kann nach einer engen Auslegung des Völkerrechts über die Aufnahme eines bereits ausgerufenen Palästinenserstaates erst im Anschluss an eine Empfehlung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen an die UN-Vollversammlung in dieser über eine Anerkennung abgestimmt werden. Die berüchtigte Resolution 377 der UN-Vollversammlung könnte für die Palästinenser jedoch auch die Möglichkeit bieten, ohne die eigentlich obligatorische Empfehlung des Sicherheitsrats zumindest einen riesigen politisch-moralischen Sieg zu erringen, indem dieser Staat in der Vollversammlung gerade wegen einer zuvor gescheiterten Abstimmung im Sicherheitsrat de facto anerkannt würde. Diese Resolution ermöglicht es, dass die Vollversammlung weitreichende Maßnahmen erlassen kann, von Sanktionsaufforderungen gegenüber Israel bis hin zur militärischen Unterstützung der Feinde des jüdischen Staates.

Während es bis vor einigen Monaten zumindest in den westlichen Staaten kaum zur Debatte stand, diesen einseitigen Schritt der Palästinenser zu unterstützen, bröckelt diese Front zunehmend. Im März kündigte Großbritannien an, der palästinensischen Vertretung in London den vollen diplomatischen Status zu verleihen, im April wurden Pläne aus Frankreich bekannt, denen zufolge man in Paris darüber nachdenkt, auch einen einseitig ausgerufenen palästinensischen Staat anzuerkennen, und schließlich ging das so genannte Nahostquartett sogar so weit, Israel mit einer formalen Befürwortung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 (mit Ostjerusalem als Hauptstadt) zu drohen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lehnt einen solchen Unilateralismus bislang zwar offiziell ab; dafür mehren sich in ihrem Kabinett jedoch die Stimmen, die Verhandlungen auch mit der Hamas befürworten.

Es waren aber nicht zuletzt die unklare Position des amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seine Ende September 2010 geäußerte Hoffnung, im September 2011 einen Palästinenserstaat in der Uno begrüßen zu können – wobei er von einem durch Friedensverhandlungen erreichten Staat ausging –, die Mahmud Abbas in seiner kompromisslosen Position bestärkt und tatsächliche Friedensverhandlungen erschwert haben. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass europäische Staaten überhaupt darüber diskutieren, einen unilateral deklamierten Palästinenserstaat zu akzeptieren. Wie erst kürzlich wieder der ehemalige israelische UN-Botschafter Dore Gold betonte, würden sie dadurch offen gegen völkerrechtliche Vereinbarungen – namentlich das Oslo-II-Abkommen – verstoßen, die von der EU als Zeugin mitunterzeichnet wurden.

Mit der Hamas gegen Israel

Hinzu kommt nun noch die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas. Deren Bedeutung wird von Azam al-Ahmad, einem führenden Mitglied des Zentralkomitees der Fatah, so zusammengefasst: Die palästinensische Einheit ist die beste Waffe gegen die Besatzung. Die Umwälzungen in Ägypten, von vielen westlichen Beobachtern völlig unkritisch bejubelt, haben eine neue Situation geschaffen, die diese letzte Hürde zur palästinensischen Eigenstaatlichkeit aus dem Weg geräumt hat. Unter dem der Hamas feindlich gesonnenen Mubarak wurde nicht mit allen Mitteln auf eine Versöhnung gedrängt. Nach Mubaraks Sturz setzen sich aber die israelfeindlichen Kräfte durch. Eine stärkere Einbindung des palästinensischen Zweigs der Moslembrüder, der Hamas, in die palästinensischen Macht- und Regierungsstrukturen ist sodann nicht nur im Interesse eines Großteils der Palästinenser, sondern auch des neuen Ägypten. In jedem Fall steht fest, dass Mahmud Abbas bereit ist, sich mit dem Hamas-Führer Ismail Haniya in ein Bett zu begeben, wenn es gegen Israel geht.

Die Palästinafreunde in der europäischen Politik und den europäischen Medien freut dieses letzte Zeichen palästinensischer „Dialogbereitschaft“ besonders, hatte die EU doch bereits 2009 eine Einheitsregierung zwischen der Hamas und der Fatah gefordert. Notorische Terrorversteher wie der ARD-Korrespondent Sebastian Engelbrecht frohlockten daher ob der Verständigungsleistung der beiden Seiten: „Verhandlungen sind möglich – auch mit einer Regierung, an der die Hamas beteiligt ist. […] Deshalb ist jetzt entscheidend, nicht wieder auf Konfrontation zu setzen, sondern auf Dialog. […] Mit dem Versöhnungsabkommen folgt Abbas nun seiner Pflicht als Präsident, die nationale Einheit der Palästinenser wiederherzustellen. Jetzt ist auf der internationalen Bühne Politik mit Fingerspitzengefühl gefragt.“

Nur einen Tag nach der offiziellen Einigung zwischen Hamas und Fatah stellte Ismail Haniya klar, wie die zukünftige Politik der PLO – der die Hamas fortan angehören soll – aussehen soll. So forderte er von der „Befreiungsorganisation“, ihre Anerkennung Israels zu widerrufen, und betonte noch einmal, dass die Präsenz des „israelischen Gebildes“ auf palästinensischem Land – womit nicht weniger gemeint ist als der gesamte jüdische Staat – illegal sei und nicht anerkannt werden könne. Friedensverhandlung dürfe es nicht geben, so Haniya weiter. Dass die Hamas die Einheitsregierung nutzen wird, um sich an die Macht zu putschen und ihre Vorstellungen durchzusetzen, entspricht der Logik dieser revolutionär-islamistischen Bewegung. Einen ersten Vorgeschmack auf ihre Machtambitionen konnte man bei der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens beobachten: Die Zeremonie verzögerte sich um zwei Stunden, weil der Chef der Hamas, Khaled Meshaal – der keinen offiziellen Posten bekleidet – forderte, neben Mahmud Abbas auf dem Podium zu sitzen. Meshaals Ansinnen konnte Abbas dieses Mal noch abwehren; der Hamas-Fürst musste sich in den Zuhörerbereich begeben. In Gaza hingegen brach seine Terrorbande noch am gleichen Tag das Abkommen, indem sie ohne die notwendige Zustimmung durch Abbas einen Mann, der angeblich mit Israel „kollaboriert“ hatte, durch ein Erschießungskommando hinrichten ließ.

Effektiver als Bombengürtel

Es wird also vermutlich so kommen, wie es kommen muss: Die Palästinenser werden, wie zu Zeiten der zweiten Intifada, bereit sein, aufs Ganze zu gehen. Dieses Mal nicht mit Bombengürteln bewaffnet, sondern unterstützt von der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Sie werden sich nicht von völkerrechtlichen Vereinbarungen und schon gar nicht von den USA davon abhalten lassen, eine Resolution über einen Palästinenserstaat in die Uno einzubringen. Ganz im Gegenteil: Eine mögliche Ablehnung ihres Ansinnens durch einen Teil der westlichen Staaten einerseits und eine Anerkennung durch eine weitaus größere Anzahl an Staaten in der Vollversammlung andererseits werden als ideologisches Instrument verwendet werden. Die Palästinenser werden dann sagen können: Seht, Völker dieser Erde, wir haben eine Wirtschaft, die funktioniert, wir haben uns versöhnt, wir haben die Anerkennung der Mehrheit der Weltgemeinschaft, und trotzdem verweigert man uns unseren Staat!

Die Ausrufung eines Staates birgt für die Palästinenser letztendlich viel mehr Erfolgschancen als alle bisherigen Abkommen. Eine Einheitsregierung und ein de facto anerkannter Palästinenserstaat würden Israel in die Situation bringen, nicht nur umstrittene Gebiete besetzt zu halten, sondern Land, das zu einer Art von Staat gehört. Das mag zwar völkerrechtlich irrelevant sein, moralisch und politisch kann es jedoch zum entscheidenden Todesstoß für den jüdischen Staat werden. All diejenigen, die in Israel schon seit langem ein Apartheidregime sehen, stehen bereits in den Startlöchern, um sofort nach der Ausrufung eines palästinensischen Staates eine noch massivere Kampagne loszutreten, die ähnlich wirkungsvoll sein könnte wie die Kampagne gegen das rassistische Südafrika in den 1980er Jahren. Israel würde in seiner Bewegungsfreiheit noch stärker eingeschränkt und könnte so zu allen möglichen Konzessionen genötigt werden. Während die Oslo-Abkommen und die Road Map noch von einer Zweistaatenlösung und langfristiger gegenseitiger Anerkennung ausgingen und diese festschrieben, könnte ein unilateral durchgesetzter Palästinenserstaat, der de facto unter einer Teilbesatzung Israels existiert, zur vollständigen Diskreditierung des jüdischen Staates durch eine völkerrechtliche Brandmarkung als einziger noch existierender „Apartheidstaat“ führen. Dadurch könnte es auf lange Sicht doch zur Erfüllung aller palästinensischen Träume kommen: der Vernichtung Israels und der Errichtung Groß-Palästinas.

Sollte die Palästinensische Autonomiebehörde tatsächlich im September ihr Vorhaben in die Vollversammlung einbringen – ob mit oder ohne Fayyad –, dann wird es für Israel eng werden. Eine militärische Lösung dieses Problems wird es ebenso wenig geben wie eine Annexion von Teilen des Westjordanlandes, wie sie gegenwärtig von einer Minderheit diskutiert wird. Vielmehr steht zu befürchten, dass der israelische Historiker Benny Morris mit seiner jüngsten Einschätzung Recht behalten wird: „Sobald dieser Mini-Staat – befreit von jeglichen internationalen Verpflichtungen wie einen Friedensvertrag und ohne Versprechungen im Austausch für die Staatlichkeit gemacht zu haben – erreicht ist, können die Palästinenser wieder ihren Kampf gegen Israel aufnehmen, dessen Untergang immer noch ihr Endziel ist.“

Schließlich wird die Taktik der unilateralen Staatsausrufung die Palästinenser endgültig in der Rolle bestätigen, die sie seit Jahren bevorzugen: als ewiges Opfer israelischer Aggressionen. Bis jetzt waren sie dies in ihrer Sichtweise als Volk, dem man einen Staat verweigert; künftig würden sie das als Staat sein, dem man ein entsprechendes Staatsgebiet verweigert. Die wichtigsten Schritte auf dem Weg dorthin sind mittlerweile absolviert; das Versöhnungsabkommen mit der Terrorbande Hamas war der letzte – und wahrscheinlich entscheidende – Schachzug.

Zum Foto: Die Hamas-Führer Ismail Haniya und Khaled Meshaal sowie der palästinensische Präsident Mahmud Abbas (v.l.n.r.) beim gemeinsamen Besuch der Großmoschee in Mekka. Das Bild entstand im Februar 2007, als die Hamas und die Fatah den – damals gescheiterten – Versuch unternahmen, eine Einheitsregierung zu bilden.