Die verfolgte Unschuld

Den Gastbeitrag von Caspar Schmidt auf diesem Weblog mochte der dort kritisierte Michael Mross dann doch nicht unkommentiert lassen: „Wer mich kennt, weiß, dass ich weder Antisemit noch struktureller Antisemit bin noch faschistischen Lösungsmustern und Schuldzuweisungen anhänge“, beteuerte er in einer E-Mail an Lizas Welt. „Das beweisen auch andere Artikel, in denen ausdrücklich auf die Gefahren solcher Tendenzen hingewiesen wird. Als weiteren Beweis empfehle ich Ihnen aber auch die Lektüre meines letzten Buches ‚Evolution des Erfolgs’.“ Zudem, so Mross weiter, stelle man auf MMnews klar: „Rassistische, beleidigende, Diktatur verherrlichende Kommentare werden gelöscht.“ Sonderlich eilig scheint man es damit bisweilen allerdings nicht zu haben. Die antisemitischen Ergüsse der MMnews-Leser „Rachsucht“ und „Frank aus Berlin“ etwa, die Caspar Schmidt zitiert hatte, datierten vom 1. und 2. April – entfernt wurden sie jedoch erst nach der Veröffentlichung von Schmidts Beitrag, also eineinhalb Wochen später.

Die Leserzuschriften sind aber nur ein Teil des Problems; allemal gewichtiger ist das, was direkt aus der Tastatur von Mross und seinen Gastautoren kommt. Und auch da fällt die Verteidigung des Börsenexperten mehr als dürftig aus: Ein nichtssagendes und blutleeres Wer-mich-kennt-der-weiß, ein nebulöser Hinweis auf „andere Artikel“ und ein Buch sowie allerlei Ratschläge („Ich empfehle Ihnen, sich an anderer Stelle über die Auswirkungen der Zinseszinseffekte, dem unsere Illusion ‚Geld’ nun mal unterliegt, zu informieren“; „Außerdem empfehle ich Ihnen dringend, sich mit den wirklichen Ursachen der Krise zu befassen. Dass diese ihren Ursprung in den USA hat, dürfte auch Ihnen nicht unbekannt sein“) ersetzen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik, zu der Mross nicht willens oder nicht fähig zu sein scheint.

Darüber hinaus ist Mross’ Versicherung auch deshalb fragwürdig, weil er offenbar kein Problem damit hat, einem stramm antiamerikanischen Autor wie Hans Jörg Müllenmeister, der auch für das Neonazi-Portal Altermedia Texte verfasst, Platz auf seiner Seite einzuräumen. Auf Altermedia bezeichnete Müllenmeister die USA schon mal als „Münchhausen-Land der Großmannssucht und Gaukler“, in der eine „Finanzlügenelite“ ihr Unwesen treibe; Israel nannte er abschätzig „unsere semitischen Dauerfreunde“. Die „US-Kleptomanen“ hätten „eine lange Tradition“, denn schon „die Gründerväter des großartigen Amerika okkupierten ganz einfach das angestammte Land der Ureinwohner, ohne Gegenleistung“. Die USA würden eines Tages „mit Mann und Maus“ untergehen wie das alte Rom, weissagte Müllenmeister, der außerdem glaubt: „Die Anomalie Mensch wird früher oder später vergehen. Auch ohne uns rollt der Erdball durchs Universum. Vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft mit einer spirituellen Crew, die sich auf moralische Werte besinnen musste.“ An solchen Tiraden, die ein regelrechtes Verlangen nach dem Armageddon offenbaren, finden eben nicht zufällig auch Neonazis Gefallen.

Eine publizistische Verteidigung erfuhren Mross und seine Seite nun auf der Homepage der Zeitschrift Eigentümlich frei. Auch hier sucht man eine inhaltliche Argumentation vergebens. Stattdessen bezeichnet der Verfasser des Beitrags, Guido Neumann, die Kritik an Mross der Einfachheit halber als „Denunziation“ in der Tradition von „Hitler, Mao und Stalin“ mit dem Ziel der „beruflichen Vernichtung“; es sei lediglich „Glück im Unglück“, dass „der Denunzierte nicht bereits wieder von der Geheimpolizei abgeholt wird“. Eine solche (Selbst-) Einopferung kennt man aus der Debatte über die „Israelkritik“: Auch in ihr wird regelmäßig behauptet, der Vorwurf des Antisemitismus – und nicht etwa der Antisemitismus selbst – könne „tödlich“ sein. So vertauscht man – wenn auch mäßig elegant – in schlechter deutscher Tradition Opfer und Täter. Kein Wunder, dass auch Neumanns Wortmeldung von den Neonazis mit Applaus bedacht wurde.

Es ist eine alte Sehnsucht, für die scheinbar nicht zu verstehenden Unbilden des Kapitalismus Schuldige zu finden und dingfest zu machen. Wer bei der entsprechenden Suche auf eine „Clique der Hochfinanz“ gestoßen sein will – wie Hans Jörg Müllenmeister auf MMnews –, benutzt nicht nur einen Terminus, dessen Popularität bekanntlich unter den Nationalsozialisten seinen Höhepunkt erfuhr (etwa in den Hetzkampagnen gegen „die Rothschilds“ und andere jüdische Bankiers); er bastelt auch fleißig an dem offenbar nicht klein zu kriegenden Mythos, nach dem die Welt von einer Handvoll sinistrer, arbeitsscheuer, unersättlich geldgieriger Gestalten qua Verschwörung zuschanden geritten wird. Dass solche Fantasmagorien auf Neonazi-Seiten unverblümter formuliert werden als auf der Website eines TV-Börsenexperten, ist nicht verwunderlich. Doch hier von einer „Finanzlügenelite“ zu schreiben und dort von einer „Clique der Hochfinanz“, macht definitiv keinen Unterschied ums Ganze aus.