Der Ausstieg aus dem Atomdeal – ein richtiger Schritt

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu stellt die Recherchen des Mossad zum iranischen Atomprogramm vor, Tel Aviv, 30. April 2018

Der Atomdeal von Wien hat das iranische Regime gestärkt und noch aggressiver gemacht. Er hat Teherans Kriegskasse gefüllt und dem Iran die Zeit gegeben, seine nuklearen Ambitionen weiter voranzutreiben. In Israel sieht man das schon länger so, nun sind auch die USA zu der Erkenntnis gelangt, dass es besser ist, aus dem Abkommen auszusteigen. Die Europäer sind darüber empört – dabei böte der amerikanische Schritt auch ihnen eine Chance.

Von Dan Shueftan, der mehrere israelische Regierungschefs beraten hat und heute das National Security Studies Center an der Universität Haifa leitet, stammt die pointierte außenpolitische Empfehlung: »Wenn du Zweifel hast, frag die Europäer. Und tue dann das Gegenteil dessen, was sie sagen.« Nun, fragen mussten Donald Trump und Benjamin Netanyahu in Bezug auf die Iran-Politik ihrer Länder gar nicht erst, denn allerlei Ratschläge aus Europa gibt es auch ungebeten. In jedem Fall setzen der amerikanische Präsident und der israelische Premierminister gerade den zweiten Teil von Shueftans Tipp in die Tat um, weshalb ihnen Gift und Galle aus Europa entgegenschlagen. Schon als Netanjahu mehrere Regalmeter mit geheimen Akten zum iranischen Atomprogramm vorstellte, an die der Mossad gelangt war, fielen die Reaktionen gereizt aus: Das sei alles nicht neu und schon gar kein Beweis für die Fortführung der nuklearen Ambitionen Teherans, hieß es, außerdem erfülle der Iran doch seine Verpflichtungen aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), besser bekannt als Atomdeal von Wien. Im Übrigen sei für die Angelegenheit nicht die israelische Regierung zuständig, sondern die Internationale Atomenergiebehörde IAEA. Man tat einfach so, als gäbe es für niemanden Anlass zur Besorgnis und als wäre der Coup des Mossad gar nichts Besonderes.

Die amerikanische Regierung sieht das bekanntlich anders und steigt deshalb aus der Atomvereinbarung aus. Trumps entsprechende Ankündigung hat in Europa überaus heftige Reaktionen zur Folge, in der Politik, vor allem aber in den Medien. Die alte antisemitische Mär von den Juden, die die amerikanische Außenpolitik bestimmen, erfährt erneut Verbreitung, etwa in einem Cartoon, der Trump als Sprachrohr und willfährigen Erfüllungsgehilfen von Netanjahu zeigt. Er wurde in mehreren deutschen Lokalzeitungen abgedruckt. Symptomatisch für die deutsche Berichterstattung ist ein Kommentar des ARD-Politikmagazins Panorama, in dem die Vereinigten Staaten als Kriegstreiber dargestellt werden, die den Nahen Osten in Flammen setzen wollten. »Amerika wird von moralisch Verwahrlosten regiert«, heißt es dort, das »Schlechteste der amerikanischen Gesellschaft« habe sich »durch die Institutionen nach oben gespült« und zeige in der Iran-Politik »sein hässliches Gesicht«. Demgegenüber falle es dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani »nicht schwer, seine geistig-moralische Überlegenheit zu zeigen«. Die israelische Regierung nehme eine »aufdringlich lärmende Rolle« ein, mit Außenminister Avigdor Lieberman als größtem Lautsprecher. Zwar gebe es gute Gründe für die Angst Israels vor dem Iran, doch diese Angst sei »von wechselnden israelischen Regierungen 20 Jahre lang systematisch über jedes vernünftige Maß hinaus geschürt« worden.

Es ist so bezeichnend wie bizarr, wie sehr hier sämtliche Koordinaten durcheinandergeraten. Mit Kritik an einer politischen Entscheidung hat der Kommentar nichts gemein, er ist vielmehr Ausdruck eines kaum noch gezügelten Antiamerikanismus, der sich in einer gehässigen Dämonisierung der USA Bahn bricht. Im Zuge dessen wird auch der jüdische Staat ins Visier genommen und der Panikmache bezichtigt, so, als habe er sich die atomaren Pläne und die Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes nur ausgedacht. Rohani wird demgegenüber ernsthaft eine geistig-moralische Überlegenheit bescheinigt – die betreffende Formulierung gibt schließlich keineswegs nur die subjektive Sicht des iranischen Präsidenten wieder. Der islamistische Iran wird als berechenbarer, rational denkender und handelnder Akteur porträtiert, Trump dagegen als »Wahnsinniger« bezeichnet und die israelische Regierung als hysterisch dargestellt. Es ist eine völlige Verdrehung der Realität.

Der Atomdeal hat den Iran noch aggressiver gemacht

Und dies umso mehr, als der Iran nach dem amerikanischen Beschluss nicht zögerte, seine erbitterte Feindschaft gegen Israel einmal mehr unter Beweis zu stellen: Zwanzig Raketen feuerte er aus Syrien auf den jüdischen Staat ab, was die israelische Armee zur militärischen Gegenwehr zwang. Auch in diesem Fall verstiegen sich zahlreiche Medien dazu, in Israel den Aggressor zu sehen, denn nicht der iranische Erstschlag stand im Mittelpunkt vieler Berichte, sondern die israelische Reaktion darauf. Schlagzeilen wie »Israel greift iranische Stellungen in Syrien an« waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Anscheinend soll der Iran als Opfer von Amerika und Israel erscheinen, auch das stellt die Wirklichkeit vollkommen auf den Kopf. Zumal es gute Gründe gibt, den Atomdeal von Wien äußerst kritisch zu sehen und den Ausstieg der USA daraus für nachvollziehbar, ja, richtig und sinnvoll zu halten. Denn das Abkommen hat keine Probleme gelöst, sondern vor allem dem finanziell stark angeschlagenen Iran Geld in die Kriegskasse gespült und ihm einen Zeitgewinn verschafft. Der JCPOA läuft 2025 aus, bis dahin kann das Regime sich weiter konsolidieren, ohne sein Atomwaffenprogramm aufgeben zu müssen. Denn daran denkt es nicht, wie Karl-Hermann Leukert, Autor bei den Salonkolumnisten, treffend zusammengefasst hat:

Auch wenn die Zahl der Zentrifugen auf etwas über 6.000 reduziert worden sein sollte, die Urananreicherung für 15 Jahre auf 3,67 Prozent begrenzt wurde und der Bestand von niedrig angereichertem Uran bei 300 Kilo eingefroren bleibt, kein Experte macht sich darüber Illusionen, dass die Breakout-Timeline, also die Zeit, die die iranischen Militärs benötigen, um genügend Material für eine Bombe herzustellen, länger als ein Jahr beträgt. Und da man bei den iranischen Mittelstreckenraketen, etwa der Ghadr 110 mit einer Reichweite von 1.800 Kilometern, offensichtlich keinen Handlungsbedarf sah, kann der Iran in der Zwischenzeit seine Trägersysteme auf den neuesten Stand bringen. Und schon mal Israel ins Visier nehmen.

Der Atomdeal stoppt die nuklearen Ambitionen des Iran und seine Aufrüstung also keineswegs, sondern ebnet dem Regime im Gegenteil den Weg zur Bombe. Genau das zeigen auch die Unterlagen, die der Mossad gesichert hat – und zu denen beispielsweise Belege dafür gehören, dass die Urananreicherungsanlage nördlich von Qom ausgebaut worden ist. Abgesehen davon betreibt der Iran nach wie vor weitgehend ungestört eine aggressive Außenpolitik, die auf eine beständige Erweiterung seiner Macht ausgerichtet ist, wie Thomas Eppinger in einem Beitrag für MENA-Watch schreibt:

In Syrien sind inzwischen 80.000 iranische Milizionäre stationiert, der Libanon ist de facto unter iranischer Kontrolle. Längst verfügt Teheran über Kurz- und Mittelstreckenraketen und droht, sein umfangreiches Raketenprogramm um Langstreckenraketen zu ergänzen – die militärisch nur sinnvoll sind, wenn sie mit Atomwaffen bestückt werden. Iran will die Islamische Revolution nach Lateinamerika und nach Afrika tragen. Das Land ist in zig Nahost- bzw. Golfstaaten mit Militärs und Beratern präsent und führt einen Stellvertreterkrieg im Jemen, wo sich der Bürgerkrieg jederzeit zu einem regionalen Krieg ausweiten kann. Iran unterstützt die Taliban, die Hisbollah und die Hamas und ist der grösste Terrorfinanzierer der Welt.

Der Ausstieg aus dem Deal ist eine Chance – auch für Europa

Die hegemonialen Aktivitäten und Ambitionen des Iran im Nahen Osten sind nicht nur für Israel eine Bedrohung, weshalb auch Bahrain, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den Schritt der USA begrüßt haben. Bahrain hat sogar, ungewöhnlich genug, Israels Recht betont, sich gegen den Iran zu verteidigen. In Europa aber will man an einem Atomvertrag festhalten, der es dem Regime in Teheran erst ermöglicht hat, seine militärische Expansion zu finanzieren, wie Eppinger vorrechnet: »Seit der schrittweisen Aufhebung der Sanktionen sind zwischen 35 und 60 Milliarden Dollar aus eingefrorenen Konten in den Iran zurückgeflossen.« Das Handelsvolumen der europäischen Unternehmen sei mit rund 14 Milliarden Dollar im Jahr 2016 zwar weit unter den Erwartungen geblieben, habe das Regime aber dennoch finanziell gestärkt. Das Geld wurde nicht in den Wohlstand der iranischen Bürger investiert, nicht in Infrastruktur und nicht in Bildung, sondern in Kriegsaktivitäten. Die Bevölkerung verarmt zusehends, die Proteste nehmen zu, das Regime verliert an Rückhalt.

In dieser Situation wollen die Europäer um jeden Preis einen Deal erhalten, der dem iranischen Regime nützt – und natürlich denjenigen, die sich mit ihm politisch oder ökonomisch prächtig verstehen. Die USA haben das aus guten Gründen durchkreuzt, und sie wissen auch: Niemand, der in Amerika wirtschaftliche Interessen verfolgt, möchte die Beziehungen zu und in den Vereinigten Staaten durch Geschäfte mit dem Iran gefährden. Ein nuklear bewaffneter Iran wäre ein immenses Sicherheitsrisiko für Israel, für den Nahen Osten, überhaupt für die freie Welt. Der JCPOA hat dieses Risiko nicht eingedämmt, sondern das iranische Regime gestärkt und ihm die Zeit gegeben, seine nuklearen Vorhaben fortzuführen und auszubauen. Der amerikanische Ausstieg aus dem Deal böte auch den Europäern die Gelegenheit, ihre Iran-Politik zu überdenken und in Abstimmung mit den USA neu auszurichten. Allerdings darf man bezweifeln, dass sie diese Chance nutzen werden.

Zuerst veröffentlicht auf Audiatur Online.

Zum Foto: Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu stellt die Recherchen des Mossad zum iranischen Atomprogramm vor. Tel Aviv, 30. April 2018.