Im neuen Film des populären chinesischen Künstlers Ai Weiwei geht es um Geflüchtete. Die Rezeption ist überwiegend positiv, dabei gäbe es genügend Gründe für ein kritisches Urteil – vor allem wegen der ideologischen Schlagseite der Dokumentation. Ein Gastkommentar.
VON VINCENT WOLFF*
Der Dokumentarfilm Human Flow des chinesischen Künstlers Ai Weiwei erhält weitgehend positive Kritiken. Für die Neue Zürcher Zeitung etwa »trotzt er [dem Elend] erstaunliche Schönheit ab«, die Zeit sieht in ihm den Versuch einer »verwegene[n] Hoffnung, dass sich die Welt wegen der Flüchtlinge nicht immer mehr spaltet, sondern zusammenrauft«, und »faszinierende Bilder« erkennen die Stuttgarter Nachrichten in der Produktion.
Verschiedentlich wird allerdings darauf hingewiesen, dass es Ai Weiwei weniger um das Schicksal von geflüchteten Menschen geht. Ai Weiwei geht es vor allem um Ai Weiwei. Man sieht Ai Weiwei beim Trösten von jungen Frauen, Ai Weiwei, wie er einem jungen Mann am Ufer aus einem Boot hilft, und Ai Weiwei, wie er sich von einem Bewohner eines Flüchtlingslagers die Haare schneiden lässt. Den geflüchteten Menschen wird hier ein Bärendienst erwiesen – anstatt die Hintergründe ihres individuellen Schicksals zu beleuchten, stellt sich der Filmemacher selbst in den Mittelpunkt. Was in den bisherigen Rezensionen dagegen kaum Beachtung findet, ist der derbe Antizionismus des Films.
Schon früh zeigt sich die ideologische Schlagseite der Dokumentation. Mit Blick auf die Fluchtursachen wird entweder lediglich vage vom »Syrienkrieg« gesprochen – oder die USA werden beschuldigt, für die Flüchtlingsbewegungen in der Region verantwortlich zu sein. Da überrascht es auch nicht, dass ein im Gebiet des Islamischen Staates lebender Bewohner – sichtbar verwundet am Unterarm – die Herrschaft des IS verharmlosen darf. Es sei nicht gut, auf dem Gebiet des IS zu leben, da »die Normalbevölkerung benachteiligt« werde, klagt der Mann lediglich. Außerdem habe jemand eine Geldstrafe zahlen müssen, weil dessen Frau den Schleier nicht richtig getragen habe. Eine solche Relativierung seiner Verbrechen hätte sich der IS nicht einmal von Jürgen Todenhöfer erhoffen können.
Worauf der Film thematisch zusteuert, zeigt sich deutlich, als Ai Weiwei ein Flüchtlingslager im Libanon besucht. Dort heißt es, die größte Gruppe an Flüchtlingen weltweit seien die Palästinenser – 4,3 Millionen an der Zahl. Diese Zahl wäre allerdings deutlich niedriger, würde der Flüchtlingsstatus bei ihnen nicht buchstäblich vererbt. Das bleibt jedoch unerwähnt. Stattdessen wird das Elend der Palästinenser im Libanon beklagt, manche seien dort bereits seit sechzig Jahren. Dass dies daran liegen könnte, dass der libanesische Staat Flüchtlingslager einmauert und Flüchtlingen Arbeitserlaubnisse sowie die Staatsbürgerschaft verweigert, wird nicht gesagt.
Nachdem die Dokumentation verschiedene Schauplätze und Flüchtlingsgruppen passiert hat – Syrer in Europa, Rohingya in Myanmar und Kurden im Irak –, zeigt sie Ai Weiwei in Gaza. Was das mit den gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen zu tun haben soll, erschließt sich nicht. Doch bereits während der Produktion des Films hatte Ai Weiwei durchblicken lassen, dass er die palästinensischen Flüchtlinge als »wichtig für die gesamte Flüchtlingssituation« erachtet und die »Isolation« sowie die »Blockade« des Gazastreifens unbedingt zeigen will. Spätestens in der folgenden Szene in Gaza-Stadt wird die ungute Obsession des Künstlers mit Israel in aller Klarheit deutlich.
Diese Szene beginnt mit einer Gruppe von Hamas-Terroristen, die schwer bewaffnet durch Gaza-Stadt fahren und rufen, die Medien sollten sie filmen – eine Bitte, der Ai Weiweis Team gerne nachkommt. Es folgen kurze Interviews, in denen ausgewählte Bewohner Gazas ihr Leid klagen dürfen und die israelischen Sicherheitskontrollen kritisieren – Ägypten wird nur im Nebensatz erwähnt. Der Grund für die Existenz dieser Sicherheitskontrollen wird nicht genannt. Stattdessen wird ein Kronzeuge aufgefahren, der bestätigen muss, dass der Gazastreifen ein »Freiluftgefängnis« ist. Dafür braucht es einen jüdischen Israeli, um den Vorwurf des Antisemitismus nicht aufkommen zu lassen. Diese Rolle übernimmt ein Vertreter der israelischen NGO B‘Tselem.
Danach werden eine Minute lang Stromausfälle gezeigt – beim Frisör, in der Bäckerei, am Strand. Die Szenen bleiben unkommentiert, der Zuschauer soll sich selbst denken, wer daran schuld ist. Verschwiegen wird – gewiss nicht zufällig –, dass die Fatah der Hamas den Strom abgestellt hat, da diese nicht für die Stromrechnungen aufkommt. Im weiteren Verlauf wird klar, dass das Auslassen wichtiger Tatsachen – nicht nur in diesem Zusammenhang – Methode hat, um die politische Position Ai Weiweis zu untermauern.
Anschließend geht es noch an die mexikanisch-amerikanische Grenze, dort werden kurze Interviews mit mexikanischen Aktivisten geführt. Gleich die erste Gesprächspartnerin sagt dabei: »Migration gibt es, weil eine kleine Elite alles kontrolliert.« Die Aussage bleibt unkommentiert, auch hier soll sich der Zuschauer selbst denken, wer diese »kleine Elite« ist. Einmal mehr wird der Weg vom Antizionismus zum Antisemitismus ohne Umwege genommen.
Anstatt den Film zu einer Bühne für Flüchtlinge und ihre oftmals grausamen Schicksale zu machen, benutzt Ai Weiwei deren Leid, um gegen Israel mobil zu machen. Dafür wird die Wahrheit zurechtgebogen. Das ist schäbig, perfide und zynisch.
* Vincent Wolff arbeitet in London im Kommunikationsbereich und leitet digitale Kampagnen im Klimawandel- und Flüchtlingsbereich. Er hat in Oxford seinen Master-Abschluss erworben und früher für die GIZ und die UN-FAO gearbeitet.
Zum Foto: Screenshot aus dem Trailer von Human Flow.
Ai Weiwei and Anti-Zionism
by VINCENT WOLFF*
(Translation by William Wires)
The new film by the popular Chinese artist Ai Weiwei is about refugees. Reception is predominantly positive, although there is sufficient reason for critical analysis—especially because of the documentary’s ideological slant. A guest commentary.
The documentary Human Flow by the Chinese artist Ai Weiwei has received largely positive reviews. For the Neue Zürcher Zeitung, for example,“he defies [the misery] with astonishing beauty“, the German periodical, Die Zeit, sees in him an attempt in „daring a hope that the world will no longer be split on the issue of refugees, but rather become united“, and the Stuttgarter Nachrichten ia impressed by the „fascinating imagery”.
However, it should be pointed out that Ai Weiwei is less concerned with the fate of refugees. Ai Weiwei is mainly concerned with Ai Weiwei. You can see Ai Weiwei comforting young women, Ai Weiwei helping a young man out of a boat, and Ai Weiwei getting a haircut by a refugee camp resident. He’s doing those people a disservice here; instead of shedding light on their individual fates, the filmmaker puts himself in the spotlight. On the other hand, the film’s crude anti-Zionism has received no attention.
The ideological slant of the documentary shows up early on. With regard to the causes of emigration there is only vague talk of the „Syrian war“—or the USA is accused of being responsible for refugee movements in the region. It’s not surprising that a resident living in the territory of the Islamic state—visibly wounded on his forearm—is allowed to play down the rule of the IS. It’s not good to live where the IS rules because „normal people are disadvantaged“, complains the man. In addition, someone had to pay a fine because his wife wasn’t wearing her head scarf properly. The IS couldn’t have hoped for more leniency for their crimes than even from the likes of a Jürgen Todenhöfer.
The film’s ideological approach is clearly evident when Ai Weiwei visits a refugee camp in Lebanon. The Palestinians are defined as the largest group of refugees—4.3 million. However, this figure would be significantly lower if their refugee status wasn’t inheritable. However, that fact remains unmentioned. Instead, the misery of the Palestinians in Lebanon is emphasized, some of whom have been stateless for sixty years. Not shown is the fact that the Lebanese State walls in refugee camps and also denies refugees work permits and citizenship.
After the documentary has accounted for various locations and refugee groups—Syrians in Europe, Rohingya in Myanmar and Kurds in Iraq—it shows Ai Weiwei in Gaza. What Gaza has to do with the current refugee movements is not at all clear. But already during the production of the film, Ai Weiwei had indicated that he considers the Palestinians „important for the entire refugee situation“. He wanted in any case to integrate their „isolation“ as well as the „blockade“ of the Gaza Strip into the film. The following scene in Gaza City clearly reveals the artist’s unpleasant obsession with Israel.
This scene begins with a group of Hamas terrorists driving and shouting heavily armed through Gaza City demanding that the media should film them—a request that Ai Weiwei’s team willingly obliged. Short interviews follow, in which selected Gaza residents are allowed to complain of their suffering and criticize the Israeli security controls; Egypt is only mentioned in an undertone. The reasons for the existence of security checks remain mentioned. Instead, a witness confirms that the Gaza Strip is an „open-air prison“. The quoted Jewish Israeli functions as an alibi to avoid any accusations of anti-Semitism, and is actually a representative of the Israeli NGO B‘ Tselem.
Afterwards, one minute power cuts are shown—at a hairdresser’s, a bakery, on the beach. The scenes remain uncommented; the viewer is left alone as who is to blame. Concealed—certainly not coincidentally—is the fact that that Fatah turns off Hamas’s electricity because of unpaid electricity bills. In the further course of the film, it becomes clear that the continual omission of important facts serves to underpin Ai Weiwei’s political obsessions.
Afterwards, the filmmaker arrives at the Mexican-American border, where short interviews with Mexican activists are conducted. Right at the beginning, the first interviewee states that “migration exists because a small elite controls everything“. The statement remains uncommented, the viewer is supposed to speculate who that „small elite“ could be. Once again, it’s a straight path from anti-Zionism to anti-Semitism.
Instead of offering a stage for refugees to present their own often cruel fates, Ai Weiwei uses their suffering along with the deformation of facts to mobilize opinion against Israel. That’s shabby, perfidious and cynical.
* Vincent Wolff works in London in communications and runs digital campaigns on climate change and refugees. He holds a master’s degree from Oxford and previously worked for GIZ and the UN-FAO.
Photo: Screenshot from the trailer of Human Flow.
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