Wirklich schöne Bilder sind das: Zwei Menschen entfliehen dem kalten Winter zu Hause und genießen stattdessen die Sonne in Miami, Florida. Man sieht sie eng umschlungen unter Palmen, lachend bei einer Lamborghini-Fahrt, entspannt am Pool, sich küssend auf einer Party, herumalbernd in der Badewanne. In einem Facebook ähnlichen sozialen Netzwerk stellen sie diese und weitere Aufnahmen online und kommentieren sie gelegentlich kurz. »Ich liebe ihn«, ist dort beispielsweise zu lesen, und: »Wo wären wir nur ohneeinander?« Wie gesagt, wirklich schön – und trotzdem eigentlich nicht weiter der Rede wert, wären die beiden nicht männliche, russische Fußballprofis, Nationalspieler ihres Landes gar. Alexander Alexandrowitsch Kokorin heißt der eine, 21 Jahre alte, der zwölf Länderspiele absolviert hat und in Diensten des russischen Erstligisten Dynamo Moskau steht; Pawel Konstantinowitsch Mamajew der andere, drei Jahre ältere, der auf zwei Länderspiele kommt und beim Liga- und Lokalrivalen ZSKA Moskau spielt.
Das vielgelesene russische Weblog Fußball in sozialen Netzwerken bastelte aus einigen der Bilder eine Art Foto-Love-Story und veröffentlichte sie am 25. Dezember des vergangenen Jahres unter der Überschrift »Wir sind zusammen« im Rahmen seiner kleinen Reihe mit dem Titel »Wie sich Fußballer der [russischen] Premjer-Liga erholen«. Was folgte, war eine regelrechte Flut von Leserkommentaren, die noch immer nicht abreißen will. Nicht wenige Beiträge sind offen schwulenfeindlich und beleidigend, aber es gibt auch viel Unterstützung für die beiden Fußballer und Kritik an den homophoben Verhältnissen in Russland. Beim »Rating« bekommt der Artikel zudem deutlich mehr Zuspruch als Ablehnung.
Erschienen ist er nur wenige Tage, nachdem eine einflussreiche Fangruppe des russischen Premjer-Liga-Klubs Zenit St. Petersburg ein »Manifest« veröffentlicht hat, in dem der Verein aufgefordert wird, keine schwulen, schwarzen oder nichteuropäischen Spieler mehr zu verpflichten. Nicht nur dieses üble Pamphlet macht deutlich, wie verbreitet die Homophobie in Russland ist: In mehreren Regionen des Landes gibt es Gesetze gegen »homosexuelle Propaganda«, und russische Politiker wie beispielsweise die Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa bezeichnen Homosexualität als »Krankheit«. Zudem werden immer wieder Demonstrationen von Schwulen und Lesben verboten oder von gewalttätigen, oft rechtsextremen Gegendemonstranten angegriffen. Ist vor diesem Hintergrund ein Coming-out von Fußballprofis in Russland tatsächlich denkbar?
Fast will es trotz der eindeutig scheinenden Bilder zu kühn anmuten, zumal Kokorin und Mamajew auch noch die ersten bezahlten Kicker wären, die sich während ihrer aktiven Laufbahn öffentlich dazu bekennen, schwul zu sein, seit es der englische Fußballer Justin Fashanu im Oktober 1990 tat* – und sich nach diversen homophoben Hetzkampagnen, Anschuldigungen und Vorverurteilungen schließlich am 2. Mai 1998 in seiner Garage erhängte. Entsprechend zurückhaltend ist denn auch das bekannte schwul-lesbische Portal queer.de, das »auf eine offizielle Stellungnahme der beiden Jungs« hofft, die seit der Veröffentlichung der Urlaubsfotos schweigen. Die populäre Plattform dbna vermutet: »Ein Grund, warum plötzlich diese Bilder auftauchten, könnte die Tatsache sein, dass sich der Dauerrivale aus Sankt Petersburg kürzlich gegen Dunkelhäutige und Homosexuelle im Fußball ausgesprochen hatte und die beiden Fußballer dagegen Position beziehen wollten.« Und bei Eurosport Russland glaubt man lediglich »an einen simplen Spaß im Urlaub«.
Es bleibt also wohl abzuwarten, ob sich die beiden Spieler noch einmal zu Wort melden (und wenn ja, was sie sagen), bevor sich eine endgültige Bewertung formulieren lässt. Einstweilen ist jedoch Michael Wollny, Fußballredakteur bei Eurosport Deutschland, zuzustimmen, der via Twitter kommentierte: »Gelungene Aktion, falls sie [Kokorin und Mamajew] menschenverachtenden Hass wie bei Zenit veräppeln wollten. Megamutig, wenn echt.«
(Zuerst veröffentlicht auf dem Webportal Fussball-gegen-Nazis.de.)
Herzlichen Dank an @senSATZionell, @Michael_Wollny, @hourglass1979, @crazylilly, @hirngabel und @el_loko74 für wertvolle Hinweise und Gedanken.
* Mit Anton Hysén hatte im März 2011 ein weiterer Fußballer ein viel beachtetes öffentliches Coming-out, allerdings spielte er seinerzeit »nur« für einen Viertligisten.
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