Roosevelt, Bush, Trump?

Franklin D. Roosevelt, George W. Bush, Donald Trump (Donald Trump by Gage Skidmore, © Gage Skidmore, Foto lizenziert unter CC-BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons; die anderen beiden Fotos sind gemeinfrei)

Der neue amerikanische Präsident und die Frage einer hegemonialen Außenpolitik. Ein Gastbeitrag.


VON GERHARD SCHEIT


Auf der Grundlage einer weiteren seiner überaus instruktiven Analysen für MENA-Watch versucht Florian Markl die heute entscheidende Frage zu beantworten, »was die Wahl Donald Trumps für den Nahen Osten bedeutet«, und kommt zu dem Schluss, dass der böse Alptraum gerade erst begonnen habe. Er knüpft dabei an Anne Applebaum an – die bereits im März 2015 befürchtete, der Westen, wie wir ihn kannten, könnte nur wenige Entscheidungen von seinem Ende entfernt sein – und meint, die Wahl Trumps sei eine davon.

Dieser Schluss scheint aber nun vorschnell, gerade auch im Hinblick auf Markls eigene Argumentation. Er selbst hat in den vergangenen Jahren immer wieder betont (und tut es auch hier), dass die Obama-Jahre im Hinblick auf das amerikanisch-israelische Verhältnis von mehr oder minder offen zelebrierten Zerwürfnissen geprägt war: »Von einem Präsidenten Trump ist nicht zu erwarten, dass er den konfrontativen Kurs Obamas gegenüber Israel fortsetzen wird. […] Israel wird bei Trump auf mehr Sympathien für die Selbstverteidigung gegen terroristische Angriffe stoßen, als dies bei der Obama-Administration der Fall war.« Des Weiteren zeigt er sehr klar, dass die Demokratische Partei sich in den acht Jahren der Amtszeit Obamas deutlich verändert hat. Nicht zuletzt der erbitterte innerparteiliche Vorwahlkampf Clintons mit Bernie Sanders habe gezeigt, wie viel Einfluss der linke Flügel der Demokraten gewonnen hat, dessen Haltung zu Israel zwischen kühler Distanz und hochemotionaler Ablehnung des jüdischen Staates angesiedelt ist.

Demgegenüber hält Florian Markl die bemerkenswerte Tatsache fest, dass Trump trotz der sagenhaften Ungereimtheiten in seinen Statements zur Außenpolitik in einer bestimmten Frage konsequent blieb und den Iran-Deal »als eines der schlechtesten Abkommen bezeichnete, das jemals von den Vereinigten Staaten verhandelt worden sei. Als Präsident werde er den Deal aufkündigen – was an dessen Stelle treten soll, blieb freilich völlig offen«.

Das aber lässt doch auch hoffen, dass die künftige Außenpolitik der USA kein böser Alptraum wird, sondern vielmehr einen solchen beendet. Die Haltung der USA zum Deal mit der Islamischen Republik Iran, die bei Clinton sich wohl im Wesentlichen kaum verändert hätte, könnte nun theoretisch zum zentralen Bezugspunkt einer Rückgewinnung hegemonialer Politik werden. Mark Dubowitz, Direktor der Foundation for Defense of Democracies, sagte: »This election is a game changer with respect to the Iran policy, from a policy that was paralyzed by the Iran deal to a president who is more willing to use all the elements of American power […] The honeymoon is over.« In diesem Sinn bestünde in der Macht, die sich die Partei der Republikaner insgesamt bei dieser Wahl sichern konnte, nicht nur ein Gegengewicht zu den hanebüchenen oder sogar monströsen Ankündigungen, mit denen Trump die Wahl gewonnen hat.

Paradigmenwechsel oder weiterer Rückzug?

Namhafte Republikaner, die im Wahlkampf direkt oder indirekt gegen den Kandidaten auftraten, der ihre Partei gekapert hatte, wollen nun zu Recht die Chance nutzen, mit ihm zusammen den Fokus gerade auf die Politik gegenüber der Islamischen Republik Iran zu legen: »Republicans in Congress who vigorously opposed Donald Trump’s run for president are now preparing to work with the incoming Trump administration on a number of foreign policy and national security issues where their policies overlap. First on their agenda is drastically increasing sanctions on Iran.« Das Regime im Iran sieht sich demnach nicht umsonst schon als Verlierer der US-Wahlen. Selbst die Schmeicheleien gegenüber Putin, die Trump hören ließ, würden ihre Bedeutung verändern, wenn es gelänge, den russischen Präsidenten im Einklang mit Netanjahus Bemühungen von der engen Zusammenarbeit mit dem Iran »abzuwerben«.

Dagegen sprechen gewiss viele Äußerungen, die Trump über den Krieg in Syrien und den vergangenen Irak-Krieg getätigt hat, und neuerdings ist aus seinem Kreis auch nicht mehr von Aufkündigung des Iran-Deals, sondern von einer Neuverhandlung die Rede, was den Unterschied zu Clintons Haltung in dieser Frage wieder etwas zusammenschrumpfen lässt. Ebenso scheinen die Hinwendung zum Protektionismus und die Zurückweisung von Abkommen wie TTIP, die Trump zur Schau trug, auf einen weiteren Rückzug von hegemonialen außenpolitischen Positionen hinzuweisen, der auf der Ebene des Welthandels Obamas Politik fortsetzen würde. Doch auch hier bleibt vieles offen.

Wie in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen stand, keimt an der Wall Street hie und da »die Hoffnung auf, dass die Regierung Trump eine aktive und auch durch Staatsausgaben finanzierte Wirtschaftspolitik betreiben« wird. Vor allem die in Aussicht gestellten landesweiten Investitionen in die Infrastruktur lassen – so seltsam das klingt – an den New Deal Roosevelts denken, der im Übrigen in seiner Wirtschaftspolitik zunächst auch kaum mehr als ein Sammelsurium von logischen Widersprüchen und willkürlichen Maßnahmen nach dem Motto trial and error bot. »Die Regierung Obama«, so die NZZ, habe es kaum vermocht, »marktfreundliche Reformen zu verabschieden. In gewisser Weise lag die Last der Wirtschaftspolitik auf der Geldpolitik und damit auf der Zentralbank.« Die neue Einschätzung der Börsianer, die ja durchaus überraschend kam, ist nicht so ohne weiteres abzutun: Sie hoffen offenbar »auf einen Paradigmenwechsel unter Trump: Der Geldpolitik wird wieder eine aktive, marktfreundliche Wirtschaftspolitik zur Seite gestellt.«

Der historische Vergleich soll nicht überstrapaziert werden, aber es ist doch der Erwähnung wert, dass Roosevelt in den ersten Jahren seiner Amtszeit durchaus noch wenig von seiner späteren hegemonialen Außenpolitik erkennen ließ, etwa Mussolini positiv gegenüberstand. Was vor allem gegen den unmittelbaren Vergleich mit den 1930er Jahren spricht, ist allerdings, dass die gegenwärtige gesellschaftliche und ökonomische Dynamik von den früheren »Weltkriegskrisen« (Heinz Langerhans) sich deutlich abhebt, gerade auch dank der Maßnahmen seitens der Zentralbanken und Finanzmärkte zum permanenten Aufschub der Krise.

Souveränität und Hegemonie

Das sind Maßnahmen, die im genauen Gegensatz zu den einstigen Reaktionen der Geld- und Handelspolitik auf die Weltwirtschaftskrise auch die internationalen Verflechtungen ständig fördern und intensivieren, und solange jedenfalls die Freihandelsbestrebungen nicht politisch torpediert werden, entfernt sich durch sie die Gesellschaft von der Möglichkeit einer Zuspitzung zur Weltkriegskrise im Maßstab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der durchaus erst Entflechtung und Hinwendung zu Autarkiepolitik vorauszugehen hätten. Der Jihadismus hingegen kann als die politische Reaktion erkannt werden, die diesem permanenten Aufschub gilt, anders gesagt: als die Anpassung des Vernichtungswahns an die gegebenen Bedingungen, zu denen im Politischen selbst die Existenz des Staates Israel gehört.

Allein dieses in der Geldpolitik und im Finanzsektor bewirkte Hinausschieben, das international koordiniert werden muss und dem an sich auch eine auf Hegemonie zielende Interventionspolitik wie in der Ära von George W. Bush einzig adäquat wäre, birgt eben noch die Möglichkeit, abzuwenden, worin jene Krisen bereits einmal terminierten – und in letzter Konsequenz gedacht, ihre conditio sine qua non, das Kapitalverhältnis selbst, endlich zugunsten einer Gesellschaft aufzugeben, die nicht mehr als eine im Kern unversöhnte die Krise und damit das Vernichtungspotenzial ständig neu aus sich heraus produzieren muss.

Solange jedoch diese conditio besteht, hat jene »primacy of foreign policy« – das konnte Leo Strauss 1936 an Hobbes‘ Leviathan deutlich machen – als Voraussetzung für die staatliche Einheit im Inneren zu gelten, so wie die Existenz einer hegemonialen Macht unter den Staaten in der entwickelten kapitalistischen Welt zur Bedingung dafür geworden ist, dass die »Resistenzkraft« des Rechts (Horkheimer) innerhalb einer solchen Einheit überhaupt gesichert werden kann. Den Zusammenhang zu erkennen, ist freilich nur einer Kritik möglich, die ebenso konkret an der Interventionspolitik unmittelbar nach 9/11 mit allen gedanklichen Folgerungen festhält (übrigens ließ auch George W. Bush vor 9/11 eher auf eine isolationistische Linie schließen), wie sie gerade daraus und gestützt auf diese Erfahrungen gelernt hat, Souveränität und Hegemonie in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen und vom »Imperialismus« der Welteroberung zu unterscheiden.

Ein Hegemon wie die USA, so Manfred Dahlmann in sans phrase (7/2015), »richtet seine Macht nicht darauf hin aus, eine möglichst umfassende Kontrolle über die Innenpolitik der Staaten in seinem Einflussbereich zu erlangen, sondern es geht ihm darum, dafür zu sorgen, dass sich dort Marktstrukturen etablieren, die es erlauben, dass sich die Unternehmen in seinem unmittelbaren Einflussbereich, also auf seinem ›originären‹ Staatsgebiet, auf diesen Märkten genau so bewegen können wie ›zu Hause‹, also dass in den Staaten, über die er seine Hegemonie ausübt, keine Bedingungen herrschen, die deren Akkumulation behindern. […] Es ist ja heute zum Beispiel nicht mehr entscheidend, ob der Hegemon in seinem Gebiet auf industrielle Produktionskapazitäten zurückgreifen kann, entscheidender ist, dass er – und sei es nur potenziell – über die Technologie und das Kapital verfügt, das ihm, etwa in einer Ausnahmesituation, erlaubt, quasi ›aus dem Stand‹ eine militärische Gewalt ›aus dem Boden zu stampfen‹, gegen die andere Staaten chancenlos sind.« Genauso chancenlos, »wie ein Unternehmen auf dem Weltmarkt, das auf Zwangsarbeit statt auf freie Lohnarbeit setzt«.

Gegenbewegung zum Wahn vom Weltsouverän?

Doch es gibt neben der hegemonialen und der imperialistischen Politik auch die deutsche »Katastrophenpolitik« (Adorno), die meist aus der notwendig gescheiterten imperialistischen folgt. Das wiedervereinigte Deutschland entwickelt hier besonders defensive Formen. Indem es weder nach Hegemonie noch Imperialismus strebt, vielmehr dem Primat der Außenpolitik im Namen der europäischen Politik – einer ohne eigene Souveränität – weitgehend entsagt, sich aber auch nicht mehr der Hegemonie der USA einfach unterordnet, die ihrerseits seit Obama die Tendenz zeigen, auf solche Politik einzulenken, mobilisiert es aufs Neue die »Reserven des allgemeinen Chaos« (Karl Kraus). Die Flüchtlingskrise ist nur die unmittelbar sichtbar gewordene Konsequenz der Nichtinterventionspolitik, die seit der Regierung Schröder den Ton angab.

Vor diesem Hintergrund stimmt der Protest, wie er sich gegen Trump in Deutschland erhoben hat, auf paradoxe Weise optimistisch – so wie der unsägliche Wahlkampf von Trump einem Hegelianer rückblickend als »List der Vernunft« erscheinen könnte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß es kurz nach der Wahl: »Gerade in Deutschland sollte man sich aber mal nicht so haben. Was will Trump? Ablehnung des Freihandels? Von TTIP? Der Nato? Freundschaft mit Russland? Arbeitsbeschaffung? Da wird es Linkspartei, SPD und Grünen noch schwerfallen zu erklären, warum das so entsetzlich sein soll. Nicht das ist es doch, was ›ganz Berlin‹, wie von dort mit stockender Stimme berichtet wird, in ›Schock‹ versetzte, als gehe es um einen politischen Terroranschlag und nicht um das Ergebnis einer demokratischen Wahl in einem – ja, das bleibt Amerika – demokratischen Land. Es ist vielmehr die brüske Ablehnung der Herzensanliegen ›linksliberaler‹ Politik, an erster Stelle der dogmatischen Migrations-, Klima- und Genderpolitik, die dazu führt, dass selbst die Kanzlerin sich dazu verleiten lässt, ›Bedingungen‹ für eine Zusammenarbeit mit Trump zu stellen, die sie gelegentlich auch einmal Wladimir Putin stellen sollte.«

Möglicherweise spürt »ganz Berlin«– anders als die tumben Trump-Fans von FN, AfD und FPÖ – mit der Hellsicht der Ranküne bereits etwas davon, dass die Verwerfung weder des Freihandels noch der Interventionspolitik die Amtsperiode Trumps dauerhaft wird kennzeichnen können (und damit würden selbst die Sympathien von Ku-Klux-Klan-Leuten, die zur antihegemonialen Abschottung passen, ins Leere gehen); dass mit einem Wort dem Wahn vom Weltsouverän, der Obama bei seiner Wahl zum Präsidenten wie auf Wolken gebettet hatte und sich dann im Rückzug von hegemonialer Außenpolitik zugunsten des Klimaschutzes niederschlug, nun doch eine Gegenbewegung folgt. Die Ablehnung des Klimaschutzes und zugleich des Iran-Deals mögen dafür sprechen. Im Gegensatz dazu verheißt freilich Trumps Aussage im ersten Interview nach der Wahl, künftig die Ausgaben für militärische Auslandseinsätze zu kürzen, vorerst wenig Gutes und wirkt eher wie eine Anknüpfung an Obamas Politik.

Bildnachweis: Donald Trump by Gage Skidmore, © Gage Skidmore, Foto lizenziert unter CC-BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons). Die anderen beiden Fotos sind gemeinfrei.