Loriotesk!

Die großartige TV-Serie Tatortreiniger geht endlich weiter. Anke Gröner und Lizas Welt hatten bereits die Gelegenheit, die nächsten beiden Folgen zu sehen.*

Die gute Nachricht vorneweg: Im Frühling kann der wunderbare Tatortreiniger, wie es aussieht, aus seinem so unverschuldeten wie unverdienten Schattendasein heraustreten. Zu Beginn dieses Jahres hatte der Norddeutsche Rundfunk in seinem dritten Programm zunächst zwei Folgen der gleichnamigen Serie gezeigt, am späten Abend und praktisch ohne jede Werbung – so, als schämte sich der Sender regelrecht für diese Produktion. Damit, dass die Einschaltquoten durchaus ansprechend ausfallen würden, hatte man beim NDR jedenfalls offenbar genauso wenig gerechnet wie mit dem euphorischen Medienecho und der Nominierung für den Grimme-Preis. Doch selbst nach diesen überaus positiven Reaktionen dauerte es immer noch eine gefühlte Ewigkeit, bis man auch die längst produzierten Folgen drei und vier ins Programm nahm; sie werden nun am 28. Februar und am 6. März ausgestrahlt, also fast zwei Monate nach den ersten beiden und wiederum zu vorgerückter Stunde. Am 17. Mai wird die Pilotsendung des Tatortreinigers dann endlich auch im Ersten zu sehen sein, und wenn man dem NDR glauben darf, wird die Produktion noch in diesem Jahr fortgesetzt.

Woher diese seltsame Zurückhaltung kommt, ist unbegreiflich, denn die Serie ist allerfeinste Unterhaltung und eine echte Perle inmitten des ganzen Tands, mit dem die ARD sonst den lieben langen Tag ihre Kanäle flutet. Der Tatortreiniger, das ist »Schotty« alias Heiko Schotte, gespielt vom großartigen, aus Formaten wie Stromberg und Mord mit Aussicht wohlbekannten Bjarne Mädel. Seine Arbeit – die Beseitigung von Blut und anderen sichtbaren Spuren des Ablebens von Menschen infolge von Unfällen oder Morden – »fängt da an, wo sich andere vor Entsetzen übergeben«, wie er selbst es nicht ohne Stolz formuliert. »Schotty« – ein gutherziger, bauernschlauer Gernegroß Anfang vierzig – begreift seine morbide Maloche in mancherlei Hinsicht als Kunst und weist prosaischere Auffassungen von dieser Tätigkeit entschieden zurück; sein ganzes komisches, teilweise lorioteskes Potenzial entfaltet der Tatortreiniger aber vor allem durch das – meist zufällige – Zusammentreffen mit anderen Protagonisten am jeweiligen Tatort. Mal handelt es sich dabei um eine Prostituierte, die eigentlich einen Kunden aufsuchen will, mal um einen Schriftsteller, der mehr unter seiner Schreibblockade leidet als unter dem Tod seiner Tante, mal um eine Patientin, die um ihren von einer anderen Patientin ermordeten Psychotherapeuten trauert.

In der dritten Folge mit dem Titel »Nicht über mein Sofa« soll »Schotty« in der Villa der reichen Hamburger Witwe Viviane Hellenkamp (Christine Schorn) die Blutspuren beseitigen, die ein, wie es heißt, von der Treppe gestürzter und dadurch ums Leben gekommener Einbrecher hinterlassen hat. Bereits die Eingangsszene ist so grotesk wie brillant, denn weil die 87jährige Hauseigentümerin nicht gewillt ist, dem Reinigungsmann ohne vorherige Gesichts- und Ausweiskontrolle die Tür zu öffnen, gleichzeitig aber mit den Tücken der Überwachungstechnik kämpft (»Ach, jetzt hab’ ich auf den Hund gedrückt«), bleibt dem so langmütigen wie beflissenen »Schotty« nichts anderes übrig, als sich auf den Koffer mit seinen Utensilien zu stellen und seinen Dienstausweis in die Kamera zu halten, um schließlich auch noch auf offener Straße laut »Mein Name ist Heiko Schotte, und ich hab’ kein Abitur« zu rufen. Drinnen macht er dann erst recht Bekanntschaft mit dem ins Absurde überzeichneten Standesdünkel der alten Frau Hellenkamp, die nicht etwa der Tod des Eindringlings belastet, sondern die Tatsache, dass dieser ihr wertvolles Sofa – auf dem unter anderem schon Herbert Karajan, Johannes Brahms, Prinz Heinrich von Preußen und Gustaf Gründgens gesessen haben sollen – erst mit Straßenschuhen betreten und dann mit einem Messer aufgeschlitzt hat.

Bald kommen »Schotty« Zweifel an der Version der Witwe, der zufolge der Einbrecher auf der Treppe das Gleichgewicht verloren hat und beim Sturz umgekommen ist. Und die rüstige Dame macht auch gar keine großen Anstalten zu leugnen, dass sie den Ganoven für seine »mutwillige, barbarische Zerstörungswut« eigenhändig ins Jenseits befördert hat (standesgemäß mit einem Golfschläger nämlich sowie, na klar, mit Gottes Hilfe). Stattdessen versucht sie, »Schotty« mit einem Haufen Geld zum Schweigen zu bringen. Der gerät kurz in Versuchung, weist das Angebot dann jedoch vehement zurück und kündigt eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft an, woraufhin er sich unversehens mit der Drohung konfrontiert sieht, selbst als Täter angezeigt zu werden – schließlich verfügt die wohlhabende, alleinstehende Frau natürlich über beste Kontakte zur Justiz. Als sie ihn auch damit nicht beeindrucken kann, unternimmt sie den Versuch, seine unverhohlene Begeisterung für ihren schwarzen Maserati zu nutzen, um ihn doch noch zu einem Deal zu bewegen. Wiederum erwägt »Schotty«, schwach zu werden – bevor sich die Angelegenheit gewissermaßen von selbst löst.

Wie in den anderen Folgen werden auch in »Nicht über mein Sofa« die Sympathien der Macher von Tatortreiniger für die Subalternen, zu Unrecht übel Beleumundeten und gesellschaftlich Ausgegrenzten so deutlich wie die Antipathien gegenüber den Großkopfeten, Schwätzern und Eingebildeten – und dies, ohne dass die Zuschauer dabei mit politischer Überkorrektheit genervt oder die Charaktere zu Charaktermasken gemacht werden. Die Serie spielt mit Klischees, um sie ironisch zu brechen, sie skizziert allzu menschliche Schwächen, ohne sie bloßzustellen, und sie brilliert mit überraschenden Dialogen, Wendungen und Pointen. So etwas bekommt man im deutschen Fernsehen – zumal dem öffentlich-rechtlichen – nur ganz selten geboten. Dass der NDR den Tatortreiniger nun offenbar doch, wenn auch sehr zögerlich, vom Katzentisch an die Tafel zu holen plant, ist deshalb ohne Zweifel eine erfreuliche und richtige Entscheidung.

* Zu Anke Gröners Besprechung der vierten Folge mit dem Titel »Geschmackssache« geht es hier.